Kochtopf

Heute auf dem Menüplan: lecker Unkraut

Was, wenn Adam und Eva im Paradies statt in einen Apfel in Unkraut gebissen hätten? Zeit für einen Selbstversuch. Ganz so wie im Garten Eden funktioniert das allerdings nicht, denn mir fehlen Eva und die Schlange. Als Ersatz habe ich zum Glück etwas viel Besseres: eine kochende Gärtnerin.

Von René Moor

Fotos: Valentina Verdesca
Styling: Mirjam Gremminger

 

«Lueg mol: Die vo We love Aarau sind au unterwägs, die choche sicher wieder so‘nes Menü!» Solche Sachen schnappen ich und Rebecca Moser am frühen Samstagmorgen am Aarauer Wochenmarkt auf. Und die Leute haben recht. Wir kochen wieder «so ein» Menü. Ich habe zwar vergessen, was. Hauptsache, Rebecca weiss, was sie hier am Markt an Lattich, Radieschen und Geissenkäse braucht, während ich nicht weiss, ob ich schon wach bin.

Guter Wein als Gegengift


Wir steigen bei La passion du vin in den Keller. Geschäftsführer Matthias Seifritz Kaufmann hört sich an, zu welchem Essen der Wein passen soll. «Ihr esst Unkraut?», fragt er leicht ungläubig. Ich bin wach. Und Rebecca präzisiert: «Ich bevorzuge die Bezeichnung Beikraut.» Das hört sich doch schon viel appetitlicher an. Matthias sagt, das schmecke sicher bitter und sauer. Darum empfiehlt er uns als Ausgleich einen fruchtigen, finessenreichen Sablet Rouge Côtes du Rhône Village AC «Les Briguières» 2012 aus biologischem Anbau. Zumindest etwas Geniessbares hätten wir damit schon.

Besuch im Märchengarten


Bevor es ans Kochen geht, machen wir noch einen Zwischenstopp – in einem verwunschenen Hexengärtchen. Mitten in der Stadt lebt Rebecca hier auf einer Fläche so gross wie ein Basketballfeld ihre Lust am Gärtnern aus: «Ich bin so oft ich kann hier – und doch zu selten.» Sagt es und bedient sich tüchtig an den Wildkräutern, die hier überall spriessen. Dann schleppen wir das Grünzeug sackweise Richtung Küche. Unterbrochen nur von spontanen Pflückaktionen, wenn Rebecca am Wegrand frischen Mauerpfeffer oder Giersch entdeckt. Kommt wie gerufen für unser Menü. Das ist total lieb von der Natur, und viel praktischer als das Einkaufen bei Migros und Coop. Langsam frage ich mich, warum wir Unkraut wie die Irren bekämpfen, wenn man es doch auch essen kann.

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Pleite beim Unkraut-Quiz


Auf dem Küchentisch machen wir Auslegeordnung, am Ende türmt sich das reinste Unkrautgebirge auf. Zum Spass veranstalten wir ein kleines Quiz: Wie heisst was? Ich blamiere mich bös, weil ich den Mauerpfeffer mit der Knoblauchrauke verwechsle und den Giersch für Sauerampfer halte. Hoffentlich hat wenigstens Rebecca eine Ahnung, so Zeug kann ja durchaus auch giftig sein.

Nachtkerze gibt Kraft wie ein Ochse


Nun kommt der richtig mühsame Teil: Die geschätzte Billion Wildkräuter müssen gewaschen, Wurzeln geschält und alles zusammen mundgerecht zerkleinert werden. Das dauert gefühlt so lange wie das Steueramt für eine definitive Veranlagung braucht. Wer nur zehn Minuten Zeit zum Kochen hat, sollte also besser eine Büchse Ravioli aufwärmen. Was aber ein Jammer wäre, weil man dann nicht erfahren würde, was Rebecca alles über Unkraut weiss. Zum Beispiel über die Brennnessel: Ausser der Wurzel kann man von ihr alles für die kalte und warme Küche brauchen. Das lohnt sich, weil sie viele Mineralstoffe und Vitamine enthält. Und der Löwenzahn, dem wir Weifäcke sagen, taugt auch als Kaffeeersatz. Seine Bitterstoffe wirken entzündungshemmend und fördern die Verdauung. Dazu hat Rebecca noch einen Trick auf Lager: «Wenn du dem Löwenzahn das Bittere nehmen willst, leg ihn einfach in Salzwasser ein.» Beim Sauerampfer wiederum schmecken die Blätter und der Stängel am besten, diese passen auch prima zu Fisch. Und von der Nachtkerze ist alles essbar. Ein Pfund davon gibt Kraft wie ein Zentner Ochsenfleisch, verspricht eine alte Weisheit. Bis man dieses Pfund beisammenhat, ist man aber wohl auch so müde wie ein Ochse.

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CD-Wechsel mit Crêpes-Funktion


Auf dem Küchentisch steht jetzt etwas, das gar nicht wie Unkraut aussieht. Eher wie ein 6-fach-CD-Wechsler aus dem letzten Jahrtausend. Doch mit dem «Crep’party compact» kann man Crêpes machen, wenn auch nur so gross wie CDs. Diese Vorstellung ist wie Musik für meinen knurrenden Magen.

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Rückkehr ins Paradies


Rebecca ist im Endspurt. Sie wirbelt virtuos mit Löffel, Töpfen und Pfannen herum. Mit ihren acht Händen verleiht sie dem Wurzelragout, der Vinaigrette, der Geissenkäse-Sauce und dem Salat den letzten Schliff. Dann steht endlich alles auf dem Tisch. Die Crêpes brutzeln im CD-Wechsler, ich schaufle mir den Teller voll, greife zu Messer und Gabel – und werde zum Unkrautvertilger. In meinem Mund explodiert wilder Geschmack, der mich auf direkten Weg zurück ins Paradies schleudert. Eva, ich komme! Und möge das Unkraut nie vergehen.

 

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