Stadtmusik

Retro, Baby!

Diesen Monat hat sich die Stadtmusikschreiberin ver- und entliebt: In neue Musik, die klingt, wie früher.

Von Miriam Suter und Gianni Keller

Der Wunderjunge: Diane Coffee


Seit Ende 2015 musste die Gitarren-Sektion im Jenseits merklich vergrössert werden: Nach Lemmy Kilmister von Motörhead gingen auch meine beiden liebsten Space-Jungs David Bowie und Prince von uns. Besonders Bowies Tod hat mich getroffen, passend zur damals dunklen Jahreszeit, und es fühlte sich an, als sei ein kleiner Teil meines Musikherzens mitgestorben. Bis Diane Coffee aka Shaun Fleming mich fragte: «How does it feel to be in love again?» und mich mit seiner Platte «Everybody’s a Good Dog» mitnahm auf einen Trip durch musikalische Sixties-Gefielde. Hat mich nicht allzu sehr überrascht, immerhin war der ehemalige Indie-Schauspieler früher Mitglied der Retro-Wunderbubenband Foxygen. Fleming hat eine stimmliche Bandbreite von Mick Jagger bis, eben, David Bowie, und jongliert auf seinem zweiten Studioalbum gekonnt mit Tönen in Motown-, Garage- und Dubstep-Manier. Endgültig verliebt habe ich mich dann nach Flemings Live Auftritt in der Konzertreihe «Tiny Desk Concerts». Dieses Brennen! Diese Hingabe! Dieser Irrsinn in seinen Augen! Seit ich es gekauft habe, läuft das Album bei mir in Dauerschleife und ich bin – auf mehreren Ebenen – «in love again».

Diane Coffee: «Everybody’s a Good Dog»


Die nicht mehr so angry young men: The Last Shadow Puppets


Ich war als Teenager grosser Fan von diesen ganzen Indie-Bands. Das hat sich bei mir praktisch als Lebensstil manifestiert: Ich fand Jungs, die keine Skinny Jeans trugen, doof, hörte fast nur Gitarrenmusik und war davon überzeugt, dass ich in meiner Lederjacke sterben werde. Heute bin ich etwas älter, die Gitarrenmusik hat sich leider grösstenteils aus den Clubs verabschiedet, die Jungs haben irgendwie (fast!) alle brave Haare und die Charts klingen nicht mehr ganz so, wie ich mir das vorstelle. Auch die Bands aus dieser Zeit sind älter geworden, erwachsener vielleicht, und vielleicht ist es auch das, was mir am neuen Album von der Truppe um Arctic Monkeys Frontmann Alex Turner nicht mehr so gut gefällt: Die meisten Songs klingen so weichgewaschen wie meine Skinny Jeans von 2009 sich anfühlen. Aus den schrummligen angry young men von 2008 sind fast schon anständige junge Männer geworden, die von süssen Träumen und abgelegten schlechten Angewohnheiten singen. Junge Männer also, die man ohne Probleme seinen Eltern vorstellen könnte. Nicht wirklich «everything I’ve come to expect».

The Last Shadow Puppets: «Everything You’ve Come To Expect»


Die jungen Wilden: Black Honey


Das Quartett aus Brighton wurde mir letzte Woche in die Ohren gespült und klingt, wie sich meine Vorfreude auf den Sommer anfühlt: Leichtfüssig, verheissungsvoll und mit dem nötigen Nachdruck, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Sängerin Izzy B Phillips (was für ein Name!) singt so, wie ich mir meine eigene Stimme nach dem dritten Moscow Mule auf Karaoke-Bühnen zu wünschen pflege: Leidend, aber glasklar, kraftvoll kratzig aber nicht krächzend und melodiös aber nicht kitschig. Black Honey sind meiner Meinung nach die Indie-Band, auf die man 2016 ein Auge und vor allem ein Ohr haben sollte. Zwar gibt es bisher noch kein Album zu kaufen, aber kürzlich erschien die EP «Headspin» mit vier Songs und einem Cover, das aussieht, als wäre es aus meinem Skizzenbuch geklaut, das ich vor vielen Jahren und in vielen durchtrunkenen Nächten angefertigt habe. Das kann man jetzt schön finden oder nicht, aber mir gefällts. Die EP klingt denn auch wie eine Nacht, in der Sangria und Cuba Libre das Sagen haben. «All My Pride» klingt nach Tanzen, nach Ausgelassenheit und nach dem Kribbeln nach dem Augenkontakt an der Bar. Nach Freundschaft. Der Song «Headspin» vertont die Zigarette im Innenhof, zu der die ersten tiefen Blicke ausgetauscht werden. Und so wie «On Your Time» klingt, so fühlt es sich an, den Liebsten ewige Liebe und treue zu schwören, kurz bevor der Club schliesst. Zu «Mocking Swing» läuft man dann liebestrunken nach Hause, wo man sich die letzten Mascara- und Lippenstiftreste abschminkt und überglücklich in die Laken fällt – in wessen Bett auch immer.

Blach Honey: «Headspin»