Zeitreise

Von Hirschen, Schweinen und Affen

Wie kam Aarau anno 1903 zu einem Wildpark? Weshalb sorgten die Stadtschweine für einen Hauskrach mit den Nachbarn in Unterentfelden? Tummeln sich an der Igelweid Stacheltiere? Was hat der ehemalige «Affenkasten» mit Primaten zu tun? Mit welchen Worten schreckte ein sprechender Vogel an der Rathausgasse die Passantinnen und Passanten? Die – absolut willkürliche - Zeitreise durch die Aarauer Tierwelt gibt Antworten auf diese Fragen.

Von Hermann Rauber

Dass einst Hirsche den Aarauer Stadtgraben (heute eine Platanenallee) bevölkerten, lässt sich auf der «wahren Contrafaktur» der Stadt, 1612 von Hans Ulrich Fisch gemalt, unschwer feststellen. Nach dem Ausfüllen des Grabens um 1820 erinnerte immerhin noch die Wirtschaft «Zum Hirschen» an die alte Herrlichkeit, mindestens bis zum Abbruch anno 1967. Heute steht dort das Geschäft Interdiscount.

Mitte Januar 1902 verbreitete sich in der Stadt die Kunde, dass einige initiative Bürger die Absicht hatten, einen «Wildgarten» zu gründen. Als Areal nahm man das Roggenhausen-Täli ins Visier. Das Vorhaben stiess bei der Bürgerschaft nicht nur auf Wohlwollen, sondern auch auf beissende Kritik. Von einem «Luxusunternehmen» oder «Kinderbelustigung» war die Rede, gar von einer simplen «Produktion von Hasenpfeffer und Rehbraten». Viel dringender für die Stadt sei, so die Gegner 1902, ein öffentliches Warmwasser-Bad am Holzmarkt oder eine zweite Turnhalle.

Eröffnungsessen mit Rehrücken


Doch das «Wildpark-Comité» setzte sein Anliegen dank der Unterstützung durch Stadtammann Max Schmidt an der Gemeindeversammlung vom November 1902 durch und legte so den Grundstein für den Wildpark Roggenhausen, der heute zu den schönsten Anlagen im Lande zählt. Am 16. Juli 1903 traf sich übrigens das neunköpfige «Comité» zur feierlichen Eröffnung, beim Essen wurden Forellen aus dem nahen Bach und selbstredend ein zarter Rehrücken serviert. Einzig die Ansiedlung von Steinadlern, dem Aarauer Wappentier sozusagen, misslang kläglich.

Schweine-Invasion in Entfelden


Haus- und Nutztiere bevölkerten im Mittelalter und weit darüber hinaus die Gassen und hausten mit den Menschen unter einem Dach. Neben Hühnern und Gänsen hielten die Aarauer am häufigsten Schweine. Besonders im Herbst pflegte man das Borstenvieh unter Führung eines städtischen Sauhirten in die umliegenden Wälder zu treiben, wo als Mastfutter massenhaft Eicheln und Buchnüsse einladend am Boden lagen. Dabei nahm man es mit den Eigentumsverhältnisse dieser «Naturweide» nicht immer ganz genau. Weil sich der Waldbesitzer im nahen Entfelden, Ritter Rudolf von Hallwil, 1424 durch die Invasion der städtischen Schweineherde geschädigt fühlte, griff er zur Selbsthilfe. Er sperrte das Aarauer Borstenvieh zwei Tage lang in einen Stall. Als «Pfand» liess er ein Dutzend der Tiere schlachten. Die erschrockenen Aarauer verzichteten in der Folge auf solche «Ausflüge» und hielten die Schweine wieder brav auf Stadtgebiet.

Erst 1877 dekretierte der Stadtrat die «Entfernung aller Schweineställe und Misthaufen», was bei den Betroffenen zu einem heftigen, aber letztlich erfolglosen Protest führte.

Ob an der Aarauer Igelweid je Stacheltiere Nahrung gesucht haben, ist nicht gesichert. Der Begriff taucht ohne weitere Erklärung erst 1801 in den amtlichen Akten auf. Die Verbindung zwischen der Hinteren Vorstadt und der Kasinostrasse hiess übrigens von 1889 bis 1920 zwischenzeitlich Schmiedgasse. Daneben gibt es heute auch noch das «Chatzetörli» zwischen Halde und Haldenring und die Gais, eine Flurbezeichnung, die entweder auf «Geiss» oder auf «Gäis» (Gänse) zurückgeht.

«Aff» stand für Schwips oder Rausch


Im Volksmund heisst die kleine Grünfläche in der Mitte des Ziegelrains seit Menschengedenken «Affenwäldli». Woher der Begriff stammt, ist unklar. Mehr weiss man über das ehemalige Restaurant Affenkasten zwischen der Vorderen und Hinteren Vorstadt. Im 19. Jahrhundert wirtete hier eine Familie Gerber und betrieb auch eine kleine Brauerei. In der Beiz trafen sich unter anderem Kantonsschüler, die eifrig dem Gerstensaft zusprachen. In der Umgangssprache hiess es dann bald einmal, die Studenten seien wieder in der Brauerei (oder im «Kasten») gewesen und hätten einen «Aff» nach Hause getragen, also einen Schwips oder Rausch. Auf diese Weise soll der Name «Affenkasten» entstanden sein, der 1877 erstmals offiziell verwendet worden ist.

Als zweifelhafte Attraktion im «Affenkasten» galt in den 1930er Jahren ein Käfig mit zwei bis drei lebenden Primaten, die allerdings nach der Überdachung des nach oben offenen Innenhofs anno 1936 verschwanden.

«Gang hei du Plauderi!»


Für Aufregung sorgte schliesslich vor rund 50 Jahren in einer Aarauer Zoohandlung an der Ecke Rathausgasse/Kirchgasse ein sprechender Beo. Bei schönem Wetter durfte der Vogel jeweils vor dem Laden im Freien auf einer Stange sitzen. Dabei musste er sich immer wieder von Passantinnen und Passanten auf der Rathausgasse necken oder hänseln lassen. Wurde es dem schwarzen Altstadt-Beo zu bunt, rief er deutlich hörbar den Plaggeistern zu: «Gang hei du Plauderi!».

 
Auf dem BIld: Wildpark Roggenhausen.
Bildquelle: Stadtmuseum Aarau