Bern entwickelte sich im Lauf einer langen Zeit immer mehr von einer «gutmütigen Mutter» zu einer «herrschsüchtigen Fürstin» und stärkte in der Untertanenstadt Aarau die Bewegung der «Patrioten», die sich unter anderem auch aus wirtschaftlichen Gründen mehr Freiheit wünschten. Allerdings wollten die «Fortschrittlichen» gemäss der Historikerin Margareta Edlin ihre Ziele «auf würdige und unblutige Weise erreichen». In der Stadtgeschichte von 1978 hält die Autorin fest, dass «von revolutionärem Draufgängertum in den ereignisreichen Tagen des Aarauer Umsturzes wirklich nicht die Rede sein konnte». Das Verhalten der «Patrioten» schwankte laut Edlin damals «zwischen entschlossener Auflehnung, halbherziger Zurückhaltung und dulderischer Kapitulation», führte letztlich aber trotzdem zum Erfolg.
Stadtpfarrer Johann Georg Fisch hat als Zeitzeuge die damaligen Ereignisse detailliert beschreiben. Im Zeichen der «Bedrohung durch die französische Republik» versammelte sich die eidgenössische Tagsatzung ausgerechnet in Aarau, und zwar am 27. Dezember 1797. Die Stimmung war aufgeladen, nicht zuletzt dank einer unverhohlenen Drohung von Berner Offizieren an die Adresse der Stadt, allfälligen Revolutionsgelüsten «mit Mord und Brand» zu begegnen, was «die Bürgerschaft mit Erbitterung erfüllte». Öl ins Feuer goss zudem die Ankunft des napoleonischen Geschäftsträgers Joseph Mengaud, der im «Goldenen Ochsen» abstieg. Am 29. Januar 1798 erliess Bern zum Schutz seines Staatsgebietes ein «allgemeines Aufgebot» an die Mannschaften im Aargau.
Die Aarauer verweigerten sich diesem Befehl und stellten am 1. Februar vor dem Rathaus als weiteres Zeichen gegen den Untertanenstatus einen Freiheitsbaum auf. Dies wiederum empörte gemäss Fisch «das Landvolk, genährt durch Landvögte und Geistliche». Bern hatte unterdessen in Suhr Truppen zusammengezogen. Am 4. Februar kapitulierte das Stadtregiment angesichts der militärischen Übermacht, Aarau wurde umgehend besetzt. Die «Berntreuen» hackten den Freiheitsbaum «in kleine Stücke», während etliche «Revoluzzer» vorübergehend nach Liestal flüchteten, «wo sie gastfreundlich aufgenommen wurden», schreibt Pfarrer Fisch. Der Spuk dauerte bis zum 5. März, bis französische Truppen nach dem Gefecht im Grauholz in Bern einrückten.
Abgesehen von ein paar Schrammen oder Beulen sowie beträchtlichem Sachschaden überlebten die Aarauer das letzte Aufbäumen des Ancien Régime glimpflich. Statt der Berner marschierten noch im März nun die Franzosen in die Stadt ein. Am 22. März kam es zur «demokratischen Abrechnung», das heisst zur Wahl eines neuen und fortschrittlichen Magistrats durch die Gemeindeversammlung. Dabei ging man mit einigen «Berntreuen» mehr oder weniger hart ins Gericht. Viel wichtiger war aber die Tatsache, dass die Stätte der letzten Tagsatzung der Alten Eidgenossenschaft zum ersten Startort einer neuen politischen Epoche wurde. Am 12. April 1798 verkündete der von 121 Deputierten aus zehn Kantonen zum neuen Senatspräsidenten gewählte Basler Peter Ochs von einem offenen Fenster des Aarauer Rathauses aus dem Volk die «einzige, unteilbare, demokratische und repräsentative helvetischen Republik». Dieses Ereignis soll durch einen neu gegründeten Verein «12. April» in diesem Jahr erstmals gewürdigt und öffentlich gefeiert werden, und zwar am kommenden Ostersonntag.
Doch nicht genug damit: Am 3. Mai wurde Aarau mit 40 Stimmen im sechsten Wahlgang knapp vor Bern zur provisorischen Hauptstadt der helvetischen Schweiz erkoren, obwohl der ehemalige «Ochsen»-Gast Mengaud aus eigener Erfahrung vor den «engen Verhältnissen» in der Kleinstadt gewarnt hatte. Aarau hatte denn auch bald den zweifelhaften Ruf eines «Bethlehem der Schweiz», weil man in der Stadt höchstens noch in einem Stall ein bescheidenes Nachtlager finde. Tatsächlich dauerte der Aarauer Höhenflug nur ein knappes halbes Jahr, bis der helvetische Tross weiter nach Luzern zog, das über eine bessere Infrastruktur verfügte.
Bericht eines Zeitzeugen
Stadtpfarrer Johann Georg Fisch hat als Zeitzeuge die damaligen Ereignisse detailliert beschreiben. Im Zeichen der «Bedrohung durch die französische Republik» versammelte sich die eidgenössische Tagsatzung ausgerechnet in Aarau, und zwar am 27. Dezember 1797. Die Stimmung war aufgeladen, nicht zuletzt dank einer unverhohlenen Drohung von Berner Offizieren an die Adresse der Stadt, allfälligen Revolutionsgelüsten «mit Mord und Brand» zu begegnen, was «die Bürgerschaft mit Erbitterung erfüllte». Öl ins Feuer goss zudem die Ankunft des napoleonischen Geschäftsträgers Joseph Mengaud, der im «Goldenen Ochsen» abstieg. Am 29. Januar 1798 erliess Bern zum Schutz seines Staatsgebietes ein «allgemeines Aufgebot» an die Mannschaften im Aargau.
Freiheitsbaum zerhackt
Die Aarauer verweigerten sich diesem Befehl und stellten am 1. Februar vor dem Rathaus als weiteres Zeichen gegen den Untertanenstatus einen Freiheitsbaum auf. Dies wiederum empörte gemäss Fisch «das Landvolk, genährt durch Landvögte und Geistliche». Bern hatte unterdessen in Suhr Truppen zusammengezogen. Am 4. Februar kapitulierte das Stadtregiment angesichts der militärischen Übermacht, Aarau wurde umgehend besetzt. Die «Berntreuen» hackten den Freiheitsbaum «in kleine Stücke», während etliche «Revoluzzer» vorübergehend nach Liestal flüchteten, «wo sie gastfreundlich aufgenommen wurden», schreibt Pfarrer Fisch. Der Spuk dauerte bis zum 5. März, bis französische Truppen nach dem Gefecht im Grauholz in Bern einrückten.
Proklamation der Helvetik
Abgesehen von ein paar Schrammen oder Beulen sowie beträchtlichem Sachschaden überlebten die Aarauer das letzte Aufbäumen des Ancien Régime glimpflich. Statt der Berner marschierten noch im März nun die Franzosen in die Stadt ein. Am 22. März kam es zur «demokratischen Abrechnung», das heisst zur Wahl eines neuen und fortschrittlichen Magistrats durch die Gemeindeversammlung. Dabei ging man mit einigen «Berntreuen» mehr oder weniger hart ins Gericht. Viel wichtiger war aber die Tatsache, dass die Stätte der letzten Tagsatzung der Alten Eidgenossenschaft zum ersten Startort einer neuen politischen Epoche wurde. Am 12. April 1798 verkündete der von 121 Deputierten aus zehn Kantonen zum neuen Senatspräsidenten gewählte Basler Peter Ochs von einem offenen Fenster des Aarauer Rathauses aus dem Volk die «einzige, unteilbare, demokratische und repräsentative helvetischen Republik». Dieses Ereignis soll durch einen neu gegründeten Verein «12. April» in diesem Jahr erstmals gewürdigt und öffentlich gefeiert werden, und zwar am kommenden Ostersonntag.
«Bethlehem der Schweiz»
Doch nicht genug damit: Am 3. Mai wurde Aarau mit 40 Stimmen im sechsten Wahlgang knapp vor Bern zur provisorischen Hauptstadt der helvetischen Schweiz erkoren, obwohl der ehemalige «Ochsen»-Gast Mengaud aus eigener Erfahrung vor den «engen Verhältnissen» in der Kleinstadt gewarnt hatte. Aarau hatte denn auch bald den zweifelhaften Ruf eines «Bethlehem der Schweiz», weil man in der Stadt höchstens noch in einem Stall ein bescheidenes Nachtlager finde. Tatsächlich dauerte der Aarauer Höhenflug nur ein knappes halbes Jahr, bis der helvetische Tross weiter nach Luzern zog, das über eine bessere Infrastruktur verfügte.
Titelbild: Eröffnung der helvetischen Nationalversammlung am 12. April 1798
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Hermann Rauber, 71, ist Historiker und Journalist. Nach seiner Pensionierung ist er noch lange nicht schreibmüde, arbeitet für verschiedene Publikationen und ist als Stadtführer tätig. Am liebsten sind ihm dabei Geschichten über die Gaststätten und das frühere Nachtleben in Aarau.