Gastkommentar

Die ENIWA demokratisieren

Wer will, dass wir mitbestimmen können, muss die Struktur der ENIWA verändern.

Von Stephan Müller

 

Ich werde immer wieder mal gefragt, was man denn politisch machen könne, damit die Aarauer Kraftwerkbetreiberin ENIWA beispielsweise eine Aarebadi in ihrem Kraftwerkbereich baut oder dass sie den bisherigen beliebten Mitteldamm als Ausstieg beim Baden oder zum Spazieren stehen lässt. Da muss man doch etwas tun können!, wird gesagt. Und ja, es stellt sich diesbezüglich wirklich die Frage, wer und wo man etwas tun kann.

Spannend ist nämlich folgende Tatsache: Die ENIWA gehört der Stadt Aarau. Da hat man dann doch das Gefühl, da müssten wir doch mitbestimmen können, wir Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von Aarau, wenn die ENIWA doch uns gehört. Nur ist das leider nicht so. Wieso?

Am 12. März 2000 wurde in einer umstrittenen Volksabstimmung die Industriellen Betriebe der Stadt Aarau (IBA) verselbständig (aus der Verwaltung der Stadt Aarau herausgelöst) und in die neue IBAarau AG überführt. Die Stadt besass von der AG 100 Prozent der Aktien. 2008 wurde ein kleiner Teil der Aktien an andere Gemeinden, welche die IBA ebenso versorgte, verkauft. Weitere Aktien wurden 2011 ans breite Publikum verkauft. 2018 wurde der Name von IBA zu ENIWA geändert. Der überwiegende Teil der Aktien gehört jedoch weiterhin der Stadt Aarau.

Wer bestimmt nun, was unsere ENIWA tun und lassen kann? Durch die Auslagerung in die AG ist es nicht mehr primär der Einwohnerrat, bzw. die Stimmbürgerschaft von Aarau, sondern allein der Aarauer Stadtrat, welcher als Vertreter der Hauptaktionärin (Stadt Aarau) den Verwaltungsrat bestimmt. Die Verselbständigung 2000 führte zu einem Machtwechsel von Einwohnerrat und Volk zum Stadtrat. Kurzum: Der Stadtrat hat bezüglich ENIWA grundsätzlich alles zu sagen, der Einwohnerrat und das Volk nichts mehr. Das heisst aber auch, der Stadtrat ist in die Verantwortung zu ziehen.

In einem AG-Konstrukt ist der Verwaltungsrat entscheidend, bzw. die vom Verwaltungsrat ausgewählte Geschäftsleitung. Entscheidend ist darum, wer dem ENIWA-Verwaltungsrat mit welchen Zielen angehört. In diesem sitzen heute vom Stadtrat delegiert nur zwei bürgerliche Aarauer Stadträte (Stadtpräsident Hilfiker und Vizeammann Schib), dazu sieben weitere vom Stadtrat unabhängige Verwaltungsrät:innen, die somit die Mehrheit darstellen. Die eigentlichen zwei Vertreter der Eignerin, der Stadt Aarau, können somit in allen Belangen im Verwaltungsrat überstimmt werden. Das ist vom Stadtrat Aarau so gewollt, da er ja über den Verwaltungsrat entscheidet. Er will also im Verwaltungsrat in der Minderheit sein. Man muss sich fragen: Weshalb? Liegt man richtig, wenn man vermutet, dass der Stadtrat die Verantwortung für die Entscheidungen der ENIWA nicht selbst übernehmen will, darum er dieses Konstrukt so gewählt hat?

So entscheidet heute dieser ENIWA-Verwaltungsrat über die eingegebene Planung der so bedeutsamen weitreichenden Veränderung der Erholungslandschaft Aare in und um Aarau. Er entscheidet betreffend der Planung, wie ein neues Kraftwerk aussehen soll, ob der Mitteldamm abgerissen wird, oder ob eine Aarebadi im Kraftwerksbereich eingeplant werden soll.

Eigentlich scheint einem klar, dass über solche gewaltigen Veränderungen die Stimmbürgerschaft von Aarau entscheiden sollte, indem sie in einem Widerstreit der Argumente selber gewichtet, was ihr die Landschaft, der Erholungsraum, wert ist, ob sie eine Aarebadi dort errichten will, ob der Mitteldamm bleiben soll oder nicht, wieviel Energie im neuen Kraftwerk gewonnen werden soll und unter welchen Bedingungen. Nur ein Entscheid der Stimmbürgerschaft drückt aus, was wir wollen.

Der demokratiepolitisch sensible Stadtrat hätte es in der Hand, trotz diesem AG-Konstrukt freiwillig eine Abstimmung in Aarau anzusetzen. Es gibt auch die Möglichkeit der Konsultativabstimmung im Aargau. Gleichzeitig könnte er versichern, das Resultat dieser Abstimmung im Verwaltungsrat durchzusetzen, und wenn dies der Verwaltungsrat in seiner Mehrheit nicht wollte, könnte er an der nächsten GV den Verwaltungsrat so wie gewünscht auswechseln, so dass dieser Entscheid der Stimmbevölkerung auch durchgesetzt wird.

Das wäre Demokratie!

Der Stadtrat will das aber nicht. Er will selber (nicht) entscheiden, bzw. lässt den Verwaltungsrat entscheiden, der in seiner Mehrheit nicht im Stadtrat ist, und die beiden delegierten Stadträte sind so bürgerlich, so dass es ihnen wohl wohl damit ist, dass sie nicht den Kopf für eine Entscheidung hinhalten müssen, welche ihnen aber durchaus recht ist, wie zu vermuten ist. So wenig Staatseinfluss (und Stadteinfluss) wie möglich, auch in diesem wegweisenden Projekt, das Generationen prägen wird: Das ist das alte Credo der Bürgerlichen.

So nimmt nun die ENIWA das Projekt «Kraftneubau» in Angriff, und die Stadt Aarau (Einwohnerrat und Bevölkerung) hat dazu grundsätzlich nichts zu sagen. Und der Stadtrat, der die Möglichkeit hätte, die Stimmbevölkerung freiwillig zu involvieren, verzichtet darauf. In seiner neoliberalen Denke begrüsst er, dass er sich zusätzlich selbst die eigene Macht verbaut hat, indem er sich selber zur Minderheit im Verwaltungsrat machte.

Wenn nun Leute den Stadtrat fragen, macht doch etwas, beispielsweise verzichtet doch auf die Schleifung des Mitteldammes, sagt der Stadtrat sinngemäss, ja wir können da auch nichts machen, die ENIWA ist halt selbständig, der Verwaltungsrat (und die von ihr abhängige Geschäftsleitung) hat das halt so entschieden. Nun kommt es zur absurden, untragbaren Situation, dass die Aarauerinnen und Aarauer teure Einsprachen gegen einen Kraftwerkneubau machen müssen (und es dürfen nur die Einsprachen machen, welche genug nahe beim geplanten Kraftwerk wohnen). Sie müssen versuchen, rechtlich gegen ein Projekt der ENIWA vorzugehen, gegen das Projekt der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates Einsprache zu erheben, obwohl ihnen, den Stimmberechtigten, eigentlich die ENIWA gehört! Und die ENIWA kann nun sogar mit guten, teuren (schlussendlich von uns bezahlten) Anwält:innen gegen diese vorgehen, die sich gegen das Neuprojekt wehren. Letztere haben damit schlechte Karten.

Ist in dieser Demokratie nicht etwas faul? Die Demokratie wird so ausgetrickst. Die Aarauer Stimmberechtigten müssten doch entscheiden, welche Projekte die ENIWA machen soll und darf! Und da der Stadtrat seine Einflussmöglichkeiten bewusst aus seinen Händen gibt, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit: Die Bevölkerung müsste – wohl mit einer gut formulierten Volksinitiative – die Macht über die ENIWA (wieder) übernehmen!

P.S: Eben konnte man lesen, dass die ENIWA ihr wertvolles Bauland, das beispielsweise für zahlbare städtische Wohnungen oder auch Genossenschaftswohnungen genützt hätten werden können, einfach an eine Immobilienfirma verkauft hat. Aus der Aargauer Zeitung: «Dass die ENIWA in Geschäftsjahr 2020 einen Reingewinn von 13 Mio. Franken ausweisen konnte, lag unter anderem am Verkauf ihres ehemaligen Werkhofs an der Erlinsbacherstrasse. Bemerkenswert ist, wer das Grundstück gekauft hat: Die Tellco Anlagestiftung. Die Tellco ist eine ‹Vorsorge- und Vermögensspezialistin› aus dem Kanton Schwyz, deren Immobilienprojekte sich zu einem grossen Teil in der Zentralschweiz befinden. Und nun hat sie in Aarau die über 7100 Quadratmeter grosse Parzelle mit mehreren Gebäuden zwischen Erlinsbacher- und Weinbergstrasse erworben. Sie plant, hier etwa 50 bis 60 Wohnungen mit 1,5 bis 5,5 Zimmern zu realisieren». Auch hier ist zu sagen: Dieser Entscheid wurde gefällt, ohne den Einwohnerrat oder das Volk zu fragen, obwohl das Land via ENIWA eigentlich der Öffentlichkeit gehört. Wer hat das so entschieden? Wer hat gegen allfällige günstige städtische Wohnungen oder Genossenschaftswohnungen entschieden? Die ENIWA-Verwaltungsräte Stadtpräsident Hilfiker und Vizeammann Schib hätten Auskunft zu geben. Und die Stimmbevölkerung hat es im Herbst bei den Wahlen in der Hand, im Stadtrat Änderungen zu erzwingen. Wenn es denn überhaupt genügend Kandidatinnen und Kandidaten hat, die eine Demokratisierung der ENIWA wollen.