Zeitreise

Aarauer Fasnacht: Vom «Schnorrauer Barometer» bis zu den Wyberg-Schränzern

Aarau ist und bleibt ein steiniger Boden für Fasnachtsgefühle.

Von Hermann Rauber

Die Gnädigen Herren von Bern, die von 1415 bis 1798 das Sagen an der Aare hatten, entwickelten kein Verständnis für solches «Tüüfelszüüg» und entzogen nach der Reformation von 1528 der Aarauer Fasnacht endgültig den Nährboden. 1587 schaffte der Rat den «Kinderumzug» ab, weil es die jungen «Bööggen» und «Butzen» wohl etwas gar zu heftig trieben. Und 1713 wurde verfügt, dass «alles Maskieren und Vermummen zu unterlassen ist». Jedem Bürger, der einen ertappten Narren einliefern konnte, wurde eine Belohnung in Aussicht gestellt.


«Cliquen» in vier Quartieren
Damit blieb Aarau über Jahrhunderte «fasnachtsfrei». Erst die 1922 gegründete Heinerich Wirri-Zunft wagte in den ersten Jahren den Schritt zu einem «Aarauer Maskenfest», wobei man 1924 unter dem Motto «Eine Nacht in Kairo» immerhin 407 verkleidete Teilnehmer in den Saalbau brachte. Das Strohfeuerchen erlosch bald wieder, doch der «virus carnevalensis» war damit (noch) nicht besiegt. Denn in vier Aarauer Quartieren entstanden nach und nach «Cliquen», nämlich im Schachen, in der Halde, in der Telli und im Scheibenschachen. Diese führten gemeinsam einen närrischen Umzug durch und rivalisierten mit Schnitzelbänken, die in Aarauer Beizen gesungen wurden.


Der epochale «Corso» von 1952
Denkwürdig in Erinnerung geblieben ist der grosse Aarauer Fasnachts-Umzug von 1952. Die «Vereinigten Cliquen» überraschten die braven Bürger mit einer aufmüpfigen Fasnachtszeitung und einer Plakette, die einen «Böögg» zeigte, der wie weiland Baron Münchhausen auf einem Aargauer Rüebli durch die Lüfte ritt, behütet von einer Kappe in Form des Wappentiers, dem Aarauer Adler. Die Postille mit dem Titel «Schnorrauer Barometer» prahlte ohne Bescheidenheit, dass «sich der Hochdruck über dem Luzerner und Solothurner Fasnachtsgebiet nun vollständig auf Aarau verschoben hat» und in der Stadt «mit einem Heiterkeitssturm zu rechnen ist». Tatsächlich lockte diese Aussicht am Sonntag, 2. März 1952, Tausende von Zuschauern an den Strassenrand. Der «Corso» durch die Stadt umfasste immerhin dreissig Sujets, angeführt von der berittenen «Geheimagenten-Clique». Stürmisch beklatscht wurde der Wagen mit dem «Behmen-Express», der die Fusion der Talbahnen ins närrische Visier nahm. Dazwischen schränzte die «Glünggi-Musig» im Wettstreit mit der «Tauchermusik», der als Matrosen ausstaffierten «Harmonie». Die erbarmungswürdigen «Stimmrechts-Hyänen» mit dem in der Hutte nachgeschleppten Füdlibürger genossen höchste Aktualität, war doch der 2. März nicht nur ein Fasnachts-, sondern gleichzeitig ein eidgenössischer Abstimmungssonntag. Mit der Kutsche des Königs Faruk endete der Cortège stilgerecht.


«Mer vom Schache, händ guet lache»
Die Schnitzelbänkler, die nicht immer eine feine Klinge führten, zirkulierten am Abend «nach Fahrplan» in ausgewählten Lokalen, die «Schächeler» hatten ihr Stammlokal im «Chalte Fuess» (heute ein Teil des Restaurants Mürset) und schmetterten jeweils den Refrain «Mer vom Schache, händ guet lache» besonders laut. 1958 hatte diese Herrlichkeit ein abruptes Ende, fühlten sich doch zwei Aarauer Gewerbetreibende und ein Wirt von den Schnitzelbänken derart beleidigt, dass sich das Gericht mit der Sache befassen musste.
Anschliessend bestand die Aarauer Fasnacht nur noch aus drei Maskenbällen im Saalbau, nämlich jenen der Stadtmusik (StaMuMaBa), der «Harmonie» und des Männerchors Liederkranz. Ende der 1970er Jahre verschwand aber auch diese Tradition aus dem Kalender, denn die Kosten überstiegen den Ertrag für die Vereinskasse. Was das Bezirksamt Aarau nicht daran hinderte, unverdrossen und über die Jahrtausendwende hinaus jeweils die «Fasnachts-Freinächte» in Aarau zu publizieren, an denen länger gewirtet werden durfte, von denen aber kaum noch jemand Notiz nahm.


Eine stadteigene Guggenmusik
Ein kleiner Trost: Seit dem Jahr 1972 verfügt Aarau über eine «stadteigene» Guggenmusik, die Wyberg-Schränzer. Diese sind nicht nur im engeren Rayon zu hören, sie haben auch schon im Ausland begeistert, zum Beispiel 1995 am Rosenmontag-Umzug in Düsseldorf. Die «Wyberg-Schränzer» dürften auch Fasnachtsmuffeln bekannt sein, führen sie doch seit 1981 am MAG ihre Kult-Beiz in der Markthalle auf dem Färberplatz. Dort endet jeweils auch der florierende Umzug der Aarauer «Kinderfasnacht», die erfolgreich vom Elternverein organisiert wird, quasi die letzten «närrischen Mohikaner», die Aarau noch kennt.

Die Bilder wurden freundlicherweise von den Wyberg-Schränzer zur Verfügung gestellt.