Keine zwei Meter neben dieser Strasse hat Rebecca ihr Gärtli. Schlimmer geht’s nicht, denkst du. Bis du deinen Fuss über alte Plachen und rostige Wellbleche in dieses verwunschene Stückchen Erde setzt. Willkommen im Rebeccas Reich, wo wilde Rosenbüsche wuchern, Kräuter in die Höhe schiessen und alle Trübeli, Rüebli, Beeri, Salate und Blumen der Welt am liebsten Asyl beantragen würden. Über verschlungene Trampelpfade stösst man hier von der einfach gezimmerten hölzernen Gartenbaracke zu versteckten Beeten vor. Vorbei an antiken Giesskannen, kaputten Tontöpfen, behauenen Steinbrocken und Komposthaufen, aus denen glückliche Kürbispflanzen wachsen.
Die erste Maibeere meines Lebens
Verkehrslärm? Nach zwei Minuten Gärtli habe ich vergessen, was das ist. Dafür zertrümmert mir die Amsel im Maibeeri-Busch nebenan mit ihrem 180-Dezibel-Gepfeife das Trommelfell. Moment mal, was sind eigentlich Maibeeri? Zum ersten Mal im Leben nehme ich eins der länglichen blauen Dinger in den Mund. Und die anderen beobachten unauffällig, wie lange ich noch in meinen Notizblock schreibe. Auch wenn es das Geissblattgewächs nicht in der Migros und im Coop gibt: Die erste im Mai reife Gartenbeere aus Russland und China ist völlig ungiftig, enthält viel Vitamin C und erinnert im Geschmack an die Heidelbeere.
Daheim in der Frischkostabteilung
Aber wir sind ja zum Kochen hier. Rebecca hat im Garten längst fleissig alles eingesammelt, was es fürs Menü braucht. Ihr Weidenkorb ist bis zum Rand gefüllt mit frischem Blutklee, Oregano, Basilikum, Schnittknoblauch, Maggikraut, Minze, Radieschen, Lattich, mehrjähriger Gartenkresse, Krautstiel, Schnittlauch und Hirschhornwegerich. Letzterer ist verwandt mit dem Spitz- und Breitwegerich und reich an Bitterstoffen, Vitaminen und Mineralsalzen. Ausserdem ist er hilfreich bei Husten und Erkältung, was im Super-Sommer 2016 nicht ganz unwichtig ist.
Kochen ohne Küche
Bald merke ich, dass es hier gar keine Küche gibt. Kein Lavabo, keine Arbeitsfläche, kein Hochdruckmixer. Was Rebecca gar nicht stört. Sie hockt sich auf einen Steinblock und fängt mit einem Brett auf den Beinen an, das Kraut zu rüsten. Schnell ist auf dem Grill ein Feuer entfacht, das aber nur faul vor sich hin mottet. Petrus hält es für nötig, es schiffen zu lassen. Was ich gehofft habe, denn sonst hätte ich meine Regenjacke ganz umsonst angezogen. Unserem Feuerchen geht fast der Schnauf aus. Schon steigt weisser Rauch auf wie bei der Papstwahl. Bevor die Glut erlischt, gilt es, tifig eine Plastikplane über den Grill zu spannen.
Glut auf dem Pfannendeckel
Der Regen prasselt, das Feuer ist gerettet und mein Notizblock macht sich tipptopp als Blasebalg, dank dem der Rauchgeschmack noch besser in die Kleider kriecht. Rebecca giesst einen Ölteppich in die Pfanne (die so gross wie ein Sombrero ist), damit der Teigboden möglichst nicht anklebt und schwärzt. Auf den Teig leert sie das geschnetzelte Kraut, das sich wie ein grüner Maulwurfshügel aus der Pfanne erhebt. Deckel drauf und auf den Grillrost damit. Der Trick ist, die Pfanne auf der richtigen Höhe über der Glut zu platzieren. Nach einer Weile fällt der Krauthügel in sich zusammen und Rebecca legt den Geissenkäse obendrauf. Dann kommt wieder der Deckel drüber. Damit der Käse schmilzt, legt Rebecca heisse Glut auf den Pfannendeckel – für die Oberhitze.
Und der Magen schnurrt
14 Grad im Regen-Schatten. Höchste Zeit für den Sommerwein-Apéro. Es ist ein Arneis Roero 2015 aus dem Piemont – angereichert mit Beeren und Blüten. Ein Schluck davon und es ist völlig wurscht, ob die Sintflut kommt oder ob pro Sekunde eine Billion Autos am Gartenhag vorbeirauschen. Das Grillbrot mit Kraut und Gartensalat wartet im Teller. Mein Magen schnurrt zufrieden. Und alles isst gut.
Ganze Galerie:
Rebeccas Rezept
Brotteig
500 g Ruchmehl
3 dl Wasser
10 g Trockenhefe (im Wasser aufrühren)
Salz
zu einem Teig mischen, kneten und gehen lassen
Grillbrot mit Kraut und Geissenkäse
500 g Lattich, verschiedene Gartenkräuter und Krautstiel fein schneiden
Salz und Pfeffer zugeben, mischen
1 dl Olivenöl in schwere Bratpfanne geben, mit Teig auslegen, mit Kraut belegen
1 bis 2 Galegge-Geisskäse in Scheiben schneiden
auf Kraut legen, pfeffern
Deckel auf Pfanne und über der Glut ca. ½ Std. backen
Gartensalat
1 bis 2 Salate
Kräuter und Beeren quer durch den Garten (z.B. Blutklee, Oregano, Basilikum, Schnittknoblauch, Hirschhornwegerich, Maggikraut, Minze, und Radieschen)
damit die einzelnen Zutaten zur Geltung kommen, empfiehlt es sich eine einfache Salatsauce:
– 2 EL Rapsöl
– 1 EL Obstessig
– Salz und Pfeffer
Sommerwein
1 Handvoll Blütenblätter und Blüten wie Rosen, Holunder und Nelken
1 Handvoll Beeren, z. B. Walderdbeeren oder Maibeeren
2 dl Weisswein zugeben, 12 bis 24 Std kühlstellen
Den Rest der Flasche zugiessen – zum Wohl!
An heissen Tagen den Wein mit Mineral verdünnen.
Für ein prickelndes Date statt Wein einen trockenen Schaumwein nehmen.
Kochtopf
In unserer Schlemmer-Rubrik gibt’s einmal im Monat etwas Feines für die Augen und zwischen die Zähne. Dabei begleiten wir Köchin Rebecca Moser vom Einkauf am Mark übers Zubereiten bis zum Kochen und Essen eines Menüs. Rebecca interpretiert längst erprobte Gerichte neu, experimentiert mit der Wildkräuterküche und altem, unbeliebtem Gemüse. 2014 wurde Rebecca für ihre Kochkünste mit dem Umweltpreis der Stadt Aarau ausgezeichnet.
www.rebeccakocht.ch
FOTOGRAFIE
Roman Gaigg ist Fotograf aus Aarau. Seine Lieblingssujets sind Konzerte und Portraits.
www.romangaigg.ch
TEXT
René Moor ist Texter/Konzepter in Aarau. Weil man Worte nicht essen kann, verbindet er in dieser Rubrik das Angenehme mit dem Nützlichen.
www.moortext.ch
STYLING
Mirjam Gremminger ist Stylistin aus Muhen. Sie verbringt jede freie Minute in Brockestuben und kennt mittlerweile jede einzelne davon in der Schweiz.
www.gremim.ch
ART DIRECTION
Andreas Ott ist Grafik Designer mit Geschäft in Aarau. Er legt sich für diese Rubrik mindestens genauso ins Zeug wie danach beim Essen.
www.buero-ao.ch