Stadtmusik

Doppelt neu

Diesen Monat durften zwei Neueingänge aus dem Dezibelle in die Plattensammlung der Stadtmusikschreiberin einziehen. Einmal eine Erinnerung an vergangene Zeiten und einmal ein möglicher Ersatz dafür.

Von Miriam Suter

Peter Doherty «Hamburg Demonstrations»


Oh, Pete. Ich möchte an dieser Stelle gestehen, dass ich Anfang zwanzig das grösste Doherty-Fangirl auf dem Planeten war. Jeden Schnipsel, alle Berichte über ihn habe ich aus Magazinen ausgeschnitten, alle möglichen Demos befanden sich auf meinem Laptop (das war noch vor der Spotify-Ära), selbstverständlich kannte ich alle seine Songtexte auswendig und plünderte meine Lehrlings-Konto für Babyshambles-Konzerttickets (vielleicht für auch die überteuerten auf Ricardo, vielleicht habe ich mal über das Dreifache für eins bezahlt). Dohertys erstes Solo-Album «Grace/Wastelands» wurde zum Soundtrack für meine Version der lost generation. Das war vor etwas mehr als sieben Jahren. Das jetzt neu erschienene «Hamburg Demonstrations» hat leider nicht den gleichen Effekt. Fair enough, ich bin sieben Jahre älter und dann ist eh alles nicht mehr so wie mit Anfang zwanzig. Dohertys Texte treffen nicht mehr so zielsicher ins Herz wie damals, die Melodien klingen alle ein bisschen zu ähnlich, zu wenig weiterentwickelt und es fühlt sich ein bisschen an, als wäre ich meinem damaligen Helden entwachsen. Das ist auch nicht weiter schlimm, ich bin überzeugt, dass dieses Album genau jetzt einer 20-Jährigen in die Hände fällt und bei ihr die gleichen Herzli-Augen auslöst bei damals bei mir.



Warhaus «We Fucked A Flame Into Being»


Manchmal kaufe ich Musik so, wie ich Wein kaufe: Nach der Etikette, beziehungsweise nach dem Cover. Das lohnt sich manchmal sehr, manchmal bekomme ich davon Kopfschmerzen. Bei Warhaus war ersteres der Fall. Das Soloprojekt von Balthazar-Sänger Maarten Devoldere ist im September erschienen und weil das Cover aussieht, wie in meiner Vorstellung ein Plakat für einen Nouvelle-Vague-Film heute aussehen würde, durfte die Platte mit. Der Titel «We Fucke A Flame Into Being» sei ein Zitat von Lady Chatterly’s Lover aus dem Roman von D.H. Lawrence, schreibt Devoldere auf seiner Bandcamp-Seite. Dort schreibt er auch, sein Debüt-Album sei eine Hommage an die Unergründlichkeit von Zusammentreffen und zelebriere die Dekadenz und die Intensität des Lebens. Und damit hat er vollkommen recht: Das Album klingt nach weintrunkenen Gesprächen mit Tom Waits um 2 Uhr morgens, nach tiefen Blicken im Fumoir deines Lieblingsclubs und manchmal ein ganz kleines bisschen nach inneren Kämpfen und first world problems. Die perfekte Platte, um der anstehenden Winterdepression zu entfliehen. Dafür sollte man nämlich besser nicht etwas von Element of Crime wählen, diese Flegel ziehen einen nur noch weiter rein, aber das ist eine andere Geschichte.