Am 11. Dezember 1909 feierte Aarau die Eröffnung des ersten ständigen Kinos, und zwar in einem geräumigen Gewölbekeller der ehemaligen «Münz» im Hammerquartier. Die Herrlichkeit dauerte nur drei Monate und endete in einem finanziellen Debakel. «Insbesondere der Damenwelt erschien es als ein allzu riskantes Unterfangen, in nebliger Winternacht das unwegsame und unbeleuchtete Areal im Hammer aufzusuchen, wo noch der offene Stadtbach gleich vor dem Kinosaal auf gefährlichem Steg zu überqueren war», hielt ein Zeitzeuge fest. Deshalb wechselte man die Lokalität an den besser erreichbaren Rain.
Im Frühsommer 1912 übernahm Georg Eberhardt den maroden Betrieb und zeigte unternehmerischen Weitblick und Mut. Er baute 1923 an der Kasinostrasse 38 ein modernes „Lichtspieltheater“. Der Saal war geräumiger und behaglicher, auf einer kleinen Bühne sorgte ein „Hausorchester“ mit zwei bis drei Mann für die musikalische Untermalung des damals noch stummen Geschehens auf der Leinwand. Nicht immer auf höchstem Niveau, wie folgende Geschichte zeigt: Als sich in einem Streifen der Hauptdarsteller unter den Klängen der kratzenden Violine verzweifelt ins Wasser stürzen will, empfahl ein Witzbold aus dem Publikum lauthals: «Nehmt den Geiger auch gleich mit!».
Das Kino «Casino» wurde im Volksmund als «Revolverchuchi» legendär, weil hier häufig Krimi- oder Wildwest-Filme liefen. Damals gab es neben der Kategorie «Balkon» im Parterre noch drei Preisklassen. Am billigsten zu haben war ein Billett für die vorderste Reihe, die so genannte «Negerloge», die fast ausschliesslich von Lehrlingen und Kantonsschülern belegt war. Hier konnte man nah an der Leinwand laut einem Bonmot «nach dem Gefecht zwischen der amerikanischen Kavallerie und den Apachen die Patronenhülsen auflesen». Ende 1983 allerdings musste das ehemalige «Herzstück» des Familienunternehmens Eberhardt einem Neubau weichen, dem heutigen Genferhaus.
Doch Aarau verfügte ja über weitere Kapazitäten für das Filmvergnügen. 1929 nämlich entstand als Ergänzung und Filiale zum «Casino» das Kino Schloss am Schlossplatz, das kurz nach der Inbetriebnahme für den Tonfilm umgerüstet wurde. Und 1947, in der Zeit des beginnenden Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, kam als drittes Lokal das «Cinéma Ideal» hinzu, das mit 500 Plätzen rasch zum «Flaggschiff» wurde und mit Messing an Türen und Treppen sowie roten Teppichen einen Hauch von Hollywood verströmte.
Statt James-Bond-Streifen sah der Kinogänger in den 1930er Jahren etwa die rührende Geschichte von den «Zwei Herzen im Dreiviertel-Takt» oder von der «Lindenwirtin». Als Kassenschlager entpuppte sich der Schwank «Pension Schöller», auf grosses Interesse stiessen aber auch die Anti-Kriegsfilme «Westfront 1918» oder «Im Westen nichts Neues». Denn Eberhardt wollte mit den Filmen nicht nur dem reinen Unterhaltungszweck dienen, sondern auch künstlerischen Ansprüchen genügen. Dazu gehörten Meisterwerke von Charlie Chaplin («The Kid» oder «Goldrush») und von Fritz Lang.
Weil «Schorsch» Eberhardt keine eigenen Kinder hatte, entschloss er sich, zwei Söhne einer Witwe, die in einem oberen Stock des Kino Casinos wohnten, zu adoptieren. Jakob und Werner Eberhardt setzten in der Folge die Familientradition erfolgreich fort. Dazu gehörte auch der geschickte Umgang mit den Filmverleihern, was zur Folge hatte, dass in Aarau Kino-Hits gleichzeitig mit den Premieren in den Grossstädten gezeigt werden konnten. Noch vor dem Tod der stadtbekannten Gebrüder Eberhardt (Jakob starb 1980, Werner 2002) übernahm Peter Eberhardt als Vertreter der dritten und letzten Generation den Aarauer Kinobetrieb. Er baute 1982 als Pioniertat das «Schloss» zum ersten Duplex-Kino der Schweiz und 1996 das «Ideal» in eine Multiplex-Anlage mit vier Sälen um. Auf den 1. Januar 2009 übergab Peter Eberhardt den Aarauer Kinobetrieb dem bisherigen Geschäftsführer Rolf Portmann.
Stummfilme mit »Hausorchester»
Im Frühsommer 1912 übernahm Georg Eberhardt den maroden Betrieb und zeigte unternehmerischen Weitblick und Mut. Er baute 1923 an der Kasinostrasse 38 ein modernes „Lichtspieltheater“. Der Saal war geräumiger und behaglicher, auf einer kleinen Bühne sorgte ein „Hausorchester“ mit zwei bis drei Mann für die musikalische Untermalung des damals noch stummen Geschehens auf der Leinwand. Nicht immer auf höchstem Niveau, wie folgende Geschichte zeigt: Als sich in einem Streifen der Hauptdarsteller unter den Klängen der kratzenden Violine verzweifelt ins Wasser stürzen will, empfahl ein Witzbold aus dem Publikum lauthals: «Nehmt den Geiger auch gleich mit!».
In der «Revolverchuchi»
Das Kino «Casino» wurde im Volksmund als «Revolverchuchi» legendär, weil hier häufig Krimi- oder Wildwest-Filme liefen. Damals gab es neben der Kategorie «Balkon» im Parterre noch drei Preisklassen. Am billigsten zu haben war ein Billett für die vorderste Reihe, die so genannte «Negerloge», die fast ausschliesslich von Lehrlingen und Kantonsschülern belegt war. Hier konnte man nah an der Leinwand laut einem Bonmot «nach dem Gefecht zwischen der amerikanischen Kavallerie und den Apachen die Patronenhülsen auflesen». Ende 1983 allerdings musste das ehemalige «Herzstück» des Familienunternehmens Eberhardt einem Neubau weichen, dem heutigen Genferhaus.
Doch Aarau verfügte ja über weitere Kapazitäten für das Filmvergnügen. 1929 nämlich entstand als Ergänzung und Filiale zum «Casino» das Kino Schloss am Schlossplatz, das kurz nach der Inbetriebnahme für den Tonfilm umgerüstet wurde. Und 1947, in der Zeit des beginnenden Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, kam als drittes Lokal das «Cinéma Ideal» hinzu, das mit 500 Plätzen rasch zum «Flaggschiff» wurde und mit Messing an Türen und Treppen sowie roten Teppichen einen Hauch von Hollywood verströmte.
«Pension Schöller» als Schlager
Statt James-Bond-Streifen sah der Kinogänger in den 1930er Jahren etwa die rührende Geschichte von den «Zwei Herzen im Dreiviertel-Takt» oder von der «Lindenwirtin». Als Kassenschlager entpuppte sich der Schwank «Pension Schöller», auf grosses Interesse stiessen aber auch die Anti-Kriegsfilme «Westfront 1918» oder «Im Westen nichts Neues». Denn Eberhardt wollte mit den Filmen nicht nur dem reinen Unterhaltungszweck dienen, sondern auch künstlerischen Ansprüchen genügen. Dazu gehörten Meisterwerke von Charlie Chaplin («The Kid» oder «Goldrush») und von Fritz Lang.
Das Ende der Ära Eberhardt
Weil «Schorsch» Eberhardt keine eigenen Kinder hatte, entschloss er sich, zwei Söhne einer Witwe, die in einem oberen Stock des Kino Casinos wohnten, zu adoptieren. Jakob und Werner Eberhardt setzten in der Folge die Familientradition erfolgreich fort. Dazu gehörte auch der geschickte Umgang mit den Filmverleihern, was zur Folge hatte, dass in Aarau Kino-Hits gleichzeitig mit den Premieren in den Grossstädten gezeigt werden konnten. Noch vor dem Tod der stadtbekannten Gebrüder Eberhardt (Jakob starb 1980, Werner 2002) übernahm Peter Eberhardt als Vertreter der dritten und letzten Generation den Aarauer Kinobetrieb. Er baute 1982 als Pioniertat das «Schloss» zum ersten Duplex-Kino der Schweiz und 1996 das «Ideal» in eine Multiplex-Anlage mit vier Sälen um. Auf den 1. Januar 2009 übergab Peter Eberhardt den Aarauer Kinobetrieb dem bisherigen Geschäftsführer Rolf Portmann.
Titelbild: Lichtspieltheater am Schlossplatz
Über
Zeitreise
We Love Aarau macht jeden Monat mit Geschichten und Anekdoten eine Reise ins vergangene Aarau.
Hermann Rauber, 68, ist Historiker und Journalist. Nach seiner Pensionierung ist er noch lange nicht schreibmüde, arbeitet für verschiedene Publikationen und ist als Stadtführer tätig. Am liebsten sind ihm dabei Geschichten über die Gaststätten und das frühere Nachtleben in Aarau.