Zeitreise

Als es in Aarau zum Himmel stank

Bewegt sich der Mensch im 21. Jahrhundert von Gerüchen kaum behelligt (von Autoabgasen einmal abgesehen) einigermassen «clean», so war das in Aarau in historischen Zeiten noch ganz anders.

Von Hermann Rauber

Bilder: Sammlung Stadtmuseum Aarau

Stadtbewohner und Haustiere lebten gemeinsam unter einem Dach. Hühner, Gänse oder Ziegen gehörten zum alltäglichen Bild in den Gassen. Für bedeutend heftigere Geruchsimmissionen sorgten zudem zahlreiche Schweine, die sich mit der Aussicht auf Wühl- Fressgelegenheiten um die Häuser trieben und dabei allerlei liegen liessen. Man kann und will sich heute diesen penetranten Gestank innerhalb der Mauern der alten Kyburgerstadt kaum mehr vorstellen. Ganz zu schweigen von menschlichen Exkrementen, die man quasi vor der Haustüre oder in den engen Ehgräben zwischen den Liegenschaften, die eigentlich dem Brandschutz dienten, entsorgte. Die «mittelalterlichen Zustände» mit Kloaken und Misthaufen vor den Häusern und in den Innenhöfen dauerten noch bis über die Bernerzeit hinaus und setzten die Bevölkerung nicht zuletzt auch einem erheblichen Gesundheitsrisiko aus.

Allerlei Duftnoten in der Luft


Es dauerte bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ehe die ersten unterirdische Kanalisationsleitungen entstanden, die unter anderem auch den damals noch überall offen fliessenden Stadtbach entlasteten. 1891 bewilligte die Gemeindeversammlung einen ersten Kredit für die «Entwässerung der Altstadt» im Bereich «nordwärts der Kronengasse», dem bis 1903 weitere Etappen folgten.
Immerhin hatte die Behörde langsam aber sicher die Nase voll. Anno 1877 dekretierte der Stadtrat die Entfernung aller Schweineställe und Misthaufen aus der Igelweid und der Bahnhofstrasse, was zwar zu heftigem Unwillen bei den betroffenen Bevölkerungsteilen führte, letztlich aber durchgesetzt wurde. Kaum angenehme Düfte verbreitet haben dürfte auch der tägliche Abfall, der entweder verbrannt oder einfach zur Verrottung deponiert wurde. Erst 1859 fuhr erstmals ein Kehrichtwagen durch Aarau. Duftnoten hinterlassen haben anno dazumal natürlich auch die Gerbereien, Färbereien und Chemiebetriebe in der Stadt oder im nahen Torfeld. Dort hatte die Schwerindustrie ihren Standort, folglich stieg den Passanten noch bis weit ins letzte Jahrhundert eine Mischung aus Metall und Brandgeruch in die Nase.

Es roch nach Kaffee und Schokolade


Als wohltuende Abwechslung entpuppten sich die seinerzeit noch zahlreichen Bäckereien im historischen Zentrum, von denen es direkt aus der Backstube täglich nach frischem Brot und am Freitag nach Wähen duftete. Sehnsüchtige Gelüste weckte auch der Kaffeegeruch, der hin und wieder aus dem Fenster der Rösterei Rohr an der Milchgasse strömte. Namentlich die Stadtkinder wandten sich allerdings lieber jenem süssen Hauch zu, den die Schokoladenfabrik Frey in der Telli verbreitete, mindestens bis 1967, also bis zur Verlegung der Produktion nach Buchs.

Vollbad als Luxus


Schliesslich haperte es auch bei der Hygiene der Stadtbewohnerinnen und -bewohner. In den Haushalten gab es keine Badewannen, geschweige denn Duschen. Durch die Woche begnügte man sich meistens mit einer «Katzenwäsche», höchstens am Sonntag gab es eine ausführlichere Reinigung in einem Zuber. Wegen der mangelnden Infrastruktur boten Private Badehäuser an, allerdings gegen Bezahlung. Weil sich dieses notwendige Vergnügen nicht alle leisten konnten, richtete die Stadt 1883 einen Badehausfonds ein, damit auch Minderbemittelte regelmässig zu einer Ganzkörperreinigung kamen. Vor genau hundert Jahren kostete ein solches Bad 1,10 Franken, wobei 80 Rappen aus der öffentlichen Kasse vergütet wurden.
Das letzte dieser Aarauer Badehäuser befand sich an der Golattenmattgasse Nr. 1, im Schatten des Oberturms. Es umfasste sechs Kabinen mit je einer Wanne und verzeichnete in den besten Zeiten hohe Frequenzen. So kamen noch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg jeweils an Freitagen 50 bis 60 Badelustige, an Samstagen waren es bis zu 140. Mit der Abnahme des Bedürfnisses, das nun immer mehr in der eigenen Wohnung befriedigt werden konnte, schloss die Institution 1976 ihre Pforten, der städtische Badehausfonds hingegen bestand mindestens auf dem Papier noch bis 1986.
Titelbild: Badehaus an der Golattenmattgasse 1