Gastkommentar

Die Geheimnisse von Alain Berset  

Wer Geheimnisse behalten kann, soll Bundesrat bleiben.

Von Stephan Müller

 

 

Der jüngste aller sieben Bundesrät:innen der Schweiz ist heute Alain Berset. Er ist erst 50 Jahre alt. Und ist trotzdem von allen am längsten Bundesrat. Schon das zeigt: Er ist eine seltene Figur. Wenn er mal nicht mehr im Bundesrat sein wird, höre ich schon alle jammern: Wie langweilig und unbedarft sind unsere Bundesrät:innen heute, was waren das noch für Zeiten, als wir Figuren wie Alain Berset im Bundesrat hatten! Jemand von diesem Format, von dieser Eleganz, von dieser Intelligenz, diesem Durchsetzungswillen, mit diesem Charme. Lange müssten wir wohl warten müssen, bis wieder einmal eine solche Person im Bundesrat sein würde.

Und jetzt wollen ein paar Neider:innen – so scheint es zumindest – den Bundesrat frühzeitig weghaben. Der beste und populärste Bundesrat soll vorzeitig zurücktreten. Er habe Affären. Und wie es scheint, hat er Geheimnisse. Und das ist der interessante Punkt.

Er hat Geheimnisse und er behält seine Geheimnisse für sich. Das zeigt sich in seiner ganzen Laufbahn. Die Ironie ist, dass seine Gegner:innen nun einen Doppelangriff auf ihn starten. Einerseits sagen sie, er könne Geheimnisse nicht für sich behalten, ergo habe er Geheimnisse ausgeplaudert, er hätte Indiskretionen und Amtsgeheimnisverletzungen begangen. Andererseits fordern sie im Gegenzug, dass er sofort Red und Antwort stehe, und die Geheimnisse, die er allfällig betreffend Amtsverletzungen anderer habe, sofort herausposaune. Dieser Doppelangriff ist in seiner Doppelzüngigkeit schon fast unübertrefflich.

Und überhaupt: Es sei nicht die erste Affäre! Und frühere Affären hätten auch gezeigt, dass er Geheimnisse habe, was man dann merkte, als diese aufgedeckt wurden. Und dass es mittlerweile schon mehrere Affären gewesen seien, zeige, dass etwas krumm sein müsse. Lustigerweise ist der Verweis auf frühere «Affären» durchaus interessant, um auch die «neue» Affäre vollständig und umfassend zu verstehen. Nur ergibt das von mir aus gesehen eine ganz anderes Bild, als es die Gegner:innen von Berset suggerieren. Diese bleiben nämlich meist bei einer reinen Aufzählung der Affären, womit sie beweisen wollen, dass Berset als Bundesrat untragbar sei. Nur zeigt sich beim genauen Blick auf die «Affären» genau das nicht.

Ja, Bundesrat Berset hat offensichtlich Geheimnisse, einerseits private, andererseits politische. Nichts normaler als das. Und wie geht Berset mit Geheimnissen um? Das ist ja gerade die Quizfrage bei den jetzigen Vorwürfen.

Mir scheint, dass der Bundesrat sehr gut mit Geheimnissen umgehen kann. Geht man von seinen früheren «Affären» aus, zeigt sich nämlich, dass er Geheimnisse auch wirklich geheim und für sich behalten kann, ausser andere, seine Gegenüber, machten gröbere Fehler oder plauderten (die) Geheimnisse aus!

Zuerst frohlockte die Presse, dass sie das Geheimnis einer geheimen Liebschaft von Berset aufgedeckt habe. Und hat Berset dieses Geheimnis verraten? Mitnichten! Seine (ehemalige) Geheimnispartnerin wollte jedoch für das Geheimnis bezahlt werden, versuchte Berset damit zu erpressen, dass wenn er nicht zahle, sie das Geheimnis ausplaudere. Berset ist nicht auf diese Erpressung eingestiegen. Nur deshalb kam dieses Geheimnis notgedrungen aus, nicht durch Berset, sondern durch den Fehler und den Erpressungsversuch des Gegenübers, der anderen Geheimnisträgerin. Hat sich Berset im Anschluss an die Erpressung noch näher zum Geheimnis geäussert? Nein, er behält alles Weitere zum Geheimnis für sich, weil er offensichtlich Geheimnisse für sich behalten kann.

Dann meinte die Presse, jetzt sei der Skandal da! Berset sei mit einem Privatflugzeug in Frankreich unterwegs gewesen, und die französische Luftwaffe musste ihn zur Landung zwingen. Welch schöne Geschichte, zur Staatsaffäre hinaufbeschworen! Und dass er geheim gehalten habe, dass er Privatflugzeug fliege und fliegen könne, sei schon eine Affäre an sich, meinte die Presse.

Nun was zeigt die Geschichte wirklich? Eigentlich nur dies: Berset konnte auch das Geheimnis, dass er als Hobby manchmal ein Flugzeug steuert und ins Ausland reist, für sich behalten. Er konnte das so geschickt machen, dass es niemand erfahren hat, nicht mal die Presse. Das soll ihm jemand mit dieser Prominenz zuerst nachmachen! Wieso das Hobby herausgekommen ist? Auch hier, wegen anderen. Die französischen Fluglotsen machten einen groben Fehler, indem sie den Flugzeugnamen falsch an den Piloten Berset funkten, womit der Pilot nicht darauf reagierte, noch reagieren musste, was danach die begleitete Notlandung auslöste. Hätten die Fluglotsen den Fehler nicht gemacht, hätte Pilot Berset einfach ausgeführt, was diese ihm mitteilten, und alles wäre in Ordnung gewesen und der Flug sein Geheimnis geblieben. Nun kam also dieses Geheimnis seines Hobbys aus. Wiederum durch einen dummen Fehler anderer, nicht durch Berset. Offensichtlich kann Berset sogar komplexe Geheimnisse, wie sein Hobby als Pilot, geheim behalten, wie sich zeigt. Als die Presse versuchte, ihn betreffend Hobby zur Rede zu zwingen, scheiterte sie. Berset behält seine Geheimnisse für sich. Mit Stil und Stringenz.

Und nun also wieder grosses Geschrei in der Presse! Berset habe Amtsgeheimnisse verraten! Es gibt zwar bisher nicht eine einzige E-Mail von ihm, das zeigen würde, dass er ein Geheimnis verraten hätte. Wie kommen die Gegner:innen dann auf die Idee, er hätte Geheimnisse verraten? Sie sagen, sein ehemaliger Kommunikationschef habe an den CEO eines Verlagshauses diverse Male gemailt, und der Wortlaut dieser E-Mails, die nun durch die Presse geleakt wurden, deuteten darauf hin, dass Amtsgeheimnisse ausgeplaudert oder zumindest Indiskretionen passiert sein könnten, was ja strafrechtlich momentan auch untersucht würde.

Was sagt nun Berset? Ja, man lasse doch die strafrechtliche Abklärung laufen, zu Abklärungen der dritten Gewalt, der unabhängigen Justiz, könne er sich als Innenminister schon an sich nicht äussern. Die Gegner:innen schäumen. Dann solle er zumindest in der Geschäftsprüfungskommission aussagen betreffend dem Verdacht, dass er von den allfälligen Indiskretionen und möglichen Amtsgeheimnisverletzungen seines ehemaligen Kommunikationsschef gewusst habe. Und wenn er nichts gewusst hätte von dessen intensiven Kontakten zum CEO eines Verlagshauses, hätte er seinen Laden nicht im Griff und sei deswegen schuldig.

Was sagt nun Berset dazu? Ja, in der Geschäftsprüfungskommission seien politische Fragen zur Sache am richtigen Ort, dort fände er eine Untersuchung durchaus gut. Nun sind alle gespannt, wie die Geschäftsprüfungskommission das Geheimnis der möglichen Amtsgeheimnisverletzungen aufklärt, indem sie Berset wohl dazu befragen wird. Schaut man auf die «früheren» Affären, und der Blick darauf lohnt sich in diesem Fall wirklich, weiss man die Antwort eigentlich schon jetzt, ohne jegliche Befragung.

Es dürfte so sein: Berset verrät keine Geheimnisse, weder Amtsgeheimnisse an die Presse, noch Geheimnisse, die er allfällig mit dem früheren Kommunikationsschef teilt. Weil er ein guter, hervorragender Geheimnisträger ist! Das ist nämlich gerade einer der herausragenden Fähigkeiten dieses Bundesrates. Gerade auch darum ist er ein guter Bundesrat, der noch lange bleiben sollte.

Fazit: Geheimnisse kommen wie gezeigt nicht deswegen heraus, weil Berset Geheimnisse verrät, sondern nur, wenn andere gröbere Fehler machen, beispielsweise eine ehemalige Geliebte, beispielsweise die Fluglotsen in Frankreich, beispielsweise ein ehemaliger Kommunikationschef. Mit ersteren beiden Fällen beschäftigte sich die Geschäftsprüfungskommission schon, und wies nach, dass Berset alles korrekt gemacht hatte. Nichts spricht dagegen, dass er auch diesmal alles korrekt gemacht hat.

Leider sind Geschäftsprüfungskommissionsitzungen und Bundesratssitzungen geheim, so dass ich nicht mitbekomme, was Berset dort sagen wird. Ich hörte gerne mit, weil ich vermute, es wird das sein, was er sagen dürfte: «Ja, er habe dem Kommunikationsschef gesagt, er solle die Coronapolitik möglichst gut ‹verkaufen›, auch um Leben zu schützen und Todesfälle zu vermeiden, das sei ihm äusserst wichtig. Und er solle eng mit allen Verlagshäusern diesbezüglich kommunizieren. Seines Wissens habe er das sehr gut gemacht. Selbstverständlich sei aber auch klar, dass er von ihm weder eine Geheimnisverletzung, noch eine Indiskretion erwartet habe, noch solches befürworte. Ob unter den Mails seines Kommunikationschefs eine solche darunter gewesen sei, kläre ja jetzt die Justiz ab, das könne und wolle er jetzt nicht voreilig beurteilen».

Wie gehts weiter mit seiner Partei, der SP? Die muss sich ja auch verhalten zur Sache. Da gibts von mir aus gesehen einen einfachen Ratschlag: Mit Berset offensiv in den Wahlkampf ziehen! «Berset stärken, SP wählen!» müsste das Motto sein, wie das ähnlich schon früher die SVP machte. Was dann passiert? Die SP dürfte die Wahlen gewinnen. Weil die Wähler:innen ein sehr feines Gespür haben für Spiele, die laufen, und auch ein feines Gespür dafür, wem man dankbar für seine immense und korrekte Arbeit sein will.

Im Übrigen: Falls er sich schon lange entschieden hätte, wann er als Bundesrat zurücktreten wird, wird er es niemandem sagen und niemand wird es wissen, ausser der hervorragende Geheimnisträger Berset selber. Der plaudert nichts aus.