Zeitreise

Die Pockenepidemie von 1871

Zusammen mit den internierten Soldaten der Bourbakiarmee hielten im Frühjahr 1871 die Pocken Einzug in der Schweiz. Mit Meldepflicht, Isolation, einer Impfkampagne und einem Notspital versuchten die Behörden in Aarau der Krankheit zu begegnen.

Von Manuel Näf und Simon Kalberer

Die Pockenkrankheit war keine Unbekannte in Aarau. Spätestens seit dem Mittelalter kursierte das Variolavirus in Europa und gehörte lange Zeit zu den Haupttodesursachen. Auch nach der Entwicklung der ersten Schutzimpfung um 1798 kam es regelmässig zu Epidemien. Als 1870 der Deutsch-Französische Krieg ausbrach, zirkulierte eine schwere Form der Pocken bereits auf beiden Seiten des Rheins – und erreichte mit der Internierung der französischen Soldaten im Februar 1871 auch Aarau.
Gemäss den Gemeinderatsprotokollen war man in Aarau zuerst bemüht, an Typhus und den Pocken erkrankte Soldaten direkt in die Kurorte Baden und Schinznach oder die kantonale Krankenheilanstalt in Königsfelden zu verlegen, doch die Pocken liessen sich nicht lange fernhalten. Internierte Franzosen und eidgenössische Armeeangehörige der Bewachungsmannschaft lagen in Aarau bald darnieder, auch unter den Aarauerinnen und Aarauern stieg die Zahl der Erkrankten an.
Die Stadt verfügte um 1871 über kein eigenes Spital. Notfallmässig wurde im Armenhaus (heute Altersheim Golatti) eine Auffangstation für erkrankte Internierte und Soldaten der Bewachungsmannschaft eingerichtet, der Stadtrat bemühte sich, den Mangel beim Pflegepersonal notfallmässig zu beheben.
Bild: Das heutige Altersheim Golatti wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Armenhaus genutzt. Während der Pockenepidemie von 1871 richtete die Stadt ein Notspital ein. Eigene Aufnahme.

Die Zivilbevölkerung dagegen erhielt nur in Ausnahmefällen Aufnahme im Armenhaus. Erkrankte mussten den Behörden gemeldet werden und die Polizei überwachte die „Absperrung“ in den eigenen vier Wänden, bis die Genesenen „abgeblattert und desinfiziert“ waren – oder starben.
Von 55 erkrankten Internierten kehrten 29 nie nach Frankreich zurück. Das Denkmal auf dem Friedhof Rosengarten erinnert bis heute an die „Kriegsopfer von 1870/71“, welche in Aarau verstarben.
Bild: Französische Offiziere besuchen das Denkmal ihrer Kameraden der Bourbakiarmee, das bald nach der Internierung errichtet wurde. Fotografie, undatiert. Sammlung Stadtmuseum Aarau.

In ihrer letzten Podcastfolge der Serie „1871 – Die Internierung der Bourbakiarmee“ sprechen Simon und Manuel über die Pockenepidemie in Aarau im Frühjahr 1871 und erzählen anhand der Quellen von der Angst in der Bevölkerung, den Anstrengungen der Behörden und den Veränderungen im Aarauer Gesundheitswesen im Nachgang der Pockenepidemie von 1871.



Die Folge kann auch auf Apple Podcast abgespielt werden.
Titelbild: Bourbaki-Internierte in Aarau, 1871. Fotografie von Friedrich Gysi. Sammlung Stadtmuseum Aarau.