Stadtgespräch

Eine «Haute Route» für Aarau

Aarau erfüllt viele Ansprüche. Doch wenn es ums Skitourengehen geht, dann wünschen sich wohl manche Aarauer Berggänger*innen Aarau näher an die Berge – bis zu diesem Wochenende.

Von Simon Kalberer

Wenn der Schnee in den Bergen frisch gefallen ist und das Wochenende näher rückt, dann werden auch bei den Aarauer Skitourengeher*innen Pläne für das Wochenende geschmiedet. Nicht ohne Neid schauen wir auf die Bergler, deren Abenteuer direkt vor der Haustüre beginnen, die dann erst noch länger schlafen und sogar nach Feierabend noch kurz die Skier anschnallen und auf den Hausberg steigen können. Wir wünschen uns den Bergen etwas näher, wenn auch nur dem Weissenstein, der ist wenigstens über 1000 Meter hoch.

Aus Spass wird ernst


Doch an diesem Wochenende ist alles anders. Aarau liegt in den Schneemassen der letzten Tage begraben und das Lawinenbulletin rät, geplante Touren in den Bergen vorläufig aufzuschieben. Die geschmähten Jurahöhen des eigenen «Backcountry» werden plötzlich zur letzten Möglichkeit, doch noch etwas Schnee unter die Latten zu bekommen. Natürlich sind den Aarauer*innen die Wintersportmöglichkeiten und Abfahrtshänge schneereicherer Zeiten bekannt, doch lässt sich daraus wirklich eine echte Alternative kreieren? Am Freitagabend dann gewinnt der scherzhafte Vorschlag zu einer Skitour auf die Wasserflue in unserer Tourengruppe immer mehr Ernsthaftigkeit. Wir recherchieren im Internet nach Tourenvorschlägen, studieren die Karten und erinnern uns an Joggingrunden, Biketouren und Wanderungen im Sommer, bei denen wir doch den einen oder anderen Hang als «fahrbar» beurteilt haben. Am Ende sah der Plan vor, von der Staffelegg aus zum Bauernhof Grossmatt abzufahren, anschliessend den Gross Wolf zu überschreiten, um von der Benkenstrasse aus zur Eggmatt, südlich der Wasserflue, aufzusteigen und von dort weiter via Laurenzenbad und Barmelweid die Geissflue zu erklimmen. Einen fulminanten Abschluss versprachen wir uns von der Abfahrt über die Westseite der Geissflue zum Naturfreundehaus Schafmatt und dann weiter über die Rosmaregg ins Breitmis bei Erlinsbach.
Um länger schlafen zu können, nimmt man auch gerne kurze Tragepassagen über geräumte Strassen in Kauf.

Die «Haute Route»


So fanden wir uns am Samstag um 8.53 Uhr auf der Staffelegg wieder, die Skier unter den Füssen, um die Aarauer «Haute Route», wie wir sie mittlerweile nannten, in Angriff zu nehmen. Gespannt waren wir vor allem auf die ins Auge gefassten Direktabfahrten von der Spitze des Gross Wolf auf dessen Westeite zum Pfaffenboden und von der Geissflue zum Naturfreundehaus Schafmatt. Auch die längere Abfahrt von der Eggmatt über die Hinteregg nach Laurenzenbad war im Internet angepriesen worden. Die bereits bestehenden Skispuren und die Tourengruppen, welche unterwegs waren, bestätigten uns in der Hoffnung, vielleicht doch nicht alles falsch gemacht zu haben.
Und wir wurden belohnt! Auch wenn bei der ersten Abfahrt von der Staffelegg mehrere Zäune überstiegen werden mussten, so konnten wir uns besonders darüber freuen, auf dem Gross Wolf der Karte und nicht den bestehenden Skispuren vertraut zu haben. Bei der Abfahrt durch den lichten Wald auf der Westseite und über die anschliessenden Lichtungen zur Benkenstrasse fühlte sich der eine oder die andere bei den Kurven durch die Bäume etwas an einen Freeridefilm aus Japan erinnert.

Auf der Abfahrt vom Gross Wolf zur Benkenstrasse ist der Alltag weit weg.

Beim Aufstieg auf der Forststrasse Richtung Hard blickten wir kurz etwas wehmütig hoch zur Herrenmatt und der Läberte östlich der Wasserflue, welche auch einigen Abfahrtspass versprachen, doch wir trösteten uns damit, diesen Hang vielleicht beim nächsten Schneefall in fünfzehn Jahren einmal mitnehmen zu können. Doch nach einer kurzen Rast auf der Eggmatt machte uns die lange, sanfte Abfahrt zum Laurenzenbad die verpassten Möglichkeiten schnell vergessen.

Kanadische Verhältnisse auf der langen Schussfahrt von der Eggmatt zum Laurenzenbad.

Nach dem erneuten Aufstieg zur Geissflue sollte sich nun entscheiden, wie fulminant die geplante Schlussabfahrt tatsächlich werden sollte. Auch hier wurden unsere Erwartungen nicht enttäuscht. Die steilste Abfahrt der Tour führte uns in knackigen Schwüngen durch den lichten Tannenwald bis zum Naturfreundehaus und die Rosmaregg hinunter ins Breitmis. Waren wir auf unserer Tour in weiten Teilen allein gewesen, so offenbarte sich bei der Rosmaregg, dass der Tag bereits fortgeschritten war und dieser Hang mit der Buslinie auf die Salhöhe um einiges besser erschlossen war als unsere bisherigen Streckenabschnitte.

Baumslalom an der Westflanke der Geissflue.

Am Ende waren wir uns aber einig: Diese Tour war mit etwas über 1000 Höhenmetern eine valable Alternative zu den Alpen. Aarau hat zwar keine Viertausender und bis zum nächsten derartigen Schneefall werden wir wieder ein Jahrzehnt warten müssen, doch wenn neben den Bündnern, Bernern, Wallisern und Urnern sogar die Solothurner im Jura ihre eigene «Haute Route» haben, dann braucht sich Aarau seines «Backcountrys» auch nicht zu schämen. Eine «Haute Route» hätte es auf jeden Fall verdient.

Blick von der Rosmaregg auf die lange Abfahrt von der Eggmatt im Hintergrund links.