Gastkommentar

Fiat Lux

Kaum vorbei, denken die städtischen Behörden bereits an die kommenden Weihnachten. Gouverner, c'est prévoir! Ihre behördlichen Empfehlungen sind - leider - ein Schuss in den Ofen.

Von Lukas Tonetto

 

Wer wünschte sich nicht, gerade im dunkelsten Januar, mehr Licht! Selbst den lieben Gott, auch wenn nicht überliefert ist, ob er seine Schöpfung im Januar vollzogen hat, verlangte es nach mehr davon. Und also sprach er: Fiat lux et facta est lux. Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht. Da ihm das dunkellichterne oder lichtdunkle Gemisch nicht behagte, schied er auch noch, wie das Alte Testament (1. Mose, 4) festhält, das Licht von der Finsternis, quasi ein Cappuccino in umgekehrter Reihenfolge. Der Rest ist bekannt.

Auch Goethe verlangte es nach mehr Licht, wenn auch nicht im Moment seiner eigenen Schöpfung, sondern erst ganz am Ende, am Abend des 22. März 1832, als ihm sein Schöpfer, der ihm im Grossen und Ganzen ziemlich egal war, langsam das Licht abdrehte. «Mehr Licht!» – nichts Geringeres soll Goethe vor seinem Tod als letzte Worte gesagt haben. Was für ein Dichterwort, mag sich da manch einer denken. Ersterbend in Finsternis, ruft er nach Licht! Die Realität soll allerdings merklich profaner gewesen sein. Kenner des goethe’schen Sterbens munkeln, das hell habe sich – gesprochen als «liecht» im Frankfurter Dialekt – auf seinen abendlichen Kaffee bezogen. Er habe also im Grunde nach einem Schluck Milch in seinen Kaffee verlangt. Die Version mit dem Kaffee ist freilich die zivile Variante. Tatsächlich, berichtete sein Kammerdiener, habe der dem Lichte ersterbende Dichterfürst nach dem Nachttopf verlangt – oh Allzumenschliches!

Allzumenschlich geht es auch in unserem nordalpinen Brescello zu, und just am Lichte scheiden sich die Geister. Oder sagen wir: ein Geist. So erhielten die Bewohner und Geschäftsinhaber in der Altstadt vom sonst durchaus geschätzten Stadtbaumeister ein Schreiben und eine Broschüre mit einer Dekorationsempfehlung für die kommende Weihnacht 2021. Empfehlung? Weihnachtsbeleuchtung?

Ja, diese Frage stellten wir uns auch. Insbesondere fragten wir uns: gibt es denn ein Problem? Jeder, der die Innenstadt im Advent kennt, weiss: nein. Die Innenstadt kennt sehr wohl Probleme, aber ganz gewiss kein Weihnachtsbeleuchtungsproblem. Studiert man die Broschüre und liest man die Empfehlungen, erhält man den Eindruck, man lese über den Status Quo. Dort steht: «Die historische Altstadt von Aarau weist eine besondere Stimmung auf, die während der Adventszeit mit einer öffentlichen Weihnachtsbeleuchtung untermalt wird. Die öffentlichen Lichterketten und Sterne sind einfache, wirkungsvolle und zeitlose Weihnachtsdekorationen. Die warme Lichtfarbe harmoniert mit den schönen Altstadtfassaden. Die Altstadt präsentiert sich so alljährlich in einem klassischen und romantischen Weihnachtslicht.» (über den begrifflichen Fehler am Schluss schauen wir grosszügig hinweg: es ist nicht möglich, klassisch *und* romantisch zu sein. Herder, Schiller, Novalis und nicht zuletzt Goethe würden sich im Grab umdrehen).

Was das Stadtbauamt aber sonst schreibt, ist schön getroffen, nicht? Und weiter heisst es: «Die öffentliche Weihnachtsbeleuchtung wird jedes Jahr durch private Dekorationen von Liegenschaften und Gewerbetreibenden ergänzt. Ziel dieser Empfehlung ist, ein harmonisches Miteinander der öffentlichen und privaten Dekorationen zu erzielen, damit diese ein stimmiges Gesamtbild ergeben.»

Ziel ist es… – aber warum Ziel? Das harmonische Miteinander ist doch bereits erreicht? Nein, offenbar nicht. In Zukunft soll weder auf den Wohnetagen noch im Parterre, also den Schaufenstern der Geschäfte, farbiges, dynamisches oder blinkendes Licht vorgehängt werden. Ferner sollen, wohl eher in Schaufenstern denn Stubenfenstern, keine beleuchteten Figuren wie Samichläuse (aka Weihnachtsmänner) etc. (es steht etc. also keine Krippen, keine Jesuskindlein, keine Josef und Maria, keine heiligen drei Könige) aufgestellt werden. Warum man das nicht darf, wissen die Architektengötter des Stadtbaumeisters.

Aus: Empfehlung Weihnachtsbeleuchtung Aarau, S. 2. Visualisierung unerwünschtes Erscheinungsbild.

Hinzu kommt, als drittes und letztes unerwünschtes Element, Lichtvorhänge und Lichtinstallationen. Illustriert wird dies mit zwei hübsch gezeichneten, aber wie immer computertechnisch absichtlich verfälschten Bildern der weihnächtlichen Rathausgasse, mit Blick vom Rathaus zum Obertorturm. Dargestellt wird die Rathausgasse im «unerwünschten Erscheinungsbild mit verunklärenden Elementen», wie es in der Bildlegende heisst. Denn «grelle Lichtfarben und flächige Fassadenbleuchtungen erzeugen ein unruhiges und uneinladendes Strassenbild.» Geschlagene drei vollflächige Fassadenbeleuchtungen weist die Illustration aus, sekundiert von überstrahlten Schaufenstern. Wer die Altstadt kennt, weiss, dass es ein Haus gibt mit einem Lichtervorhang. Eines. Es ist das Haus an der Ecke Rathausgasse/Adelbändli, darin seit kurzem «Little Sem’s» ist, auf dem Bild vorne rechts. Dieses Haus trägt im Advent den festlichen Lichtervorhang, und wenn einer weiss, wie die Rathausgasse im adventlichen Schmuck aussieht, dann bin das wohl ich: rechnen wir grosszügig ab dem vierten Lebensjahr, dann habe ich von vor dem Kindergarten bis nach der Matur Tag für Tag, auch im Advent, vom vorgebauten «Ticino» aus, die Rathausgasse überblickt. Und selbst, als dort ein Lichtervorhang hing, verlor die Weihnachtsbeleuchtung, wie es die Broschüre insinuiert, nie ihre «räumliche Präsenz». Warum in der «So nicht!»-Illustration drei ganzflächige Lichtvorhänge eingebaut sind? In der antiken Rhetorik hätte man von «amplificatio», Steigerung der Wirkung, gesprochen.

Wie sich die Behörden die adventlich illuminierte Stadt vorstellen, dokumentieren sie mit der zweiten Illustration. Ziemlich dunkel, ist der erste Eindruck. Der zweite Eindruck schmerzt dann aber richtig: soviel deutsche Innerlichkeit, soviel Tannenreisig mit roten Mäscheli, soviel Bürgerlichkeit, die aus den behaglichen Stuben milde scheint, und der ganze biedermeierliche Kitsch angereichert durch flöckelndes Schneegestöber, soviel Bäbistubenidylle ist dann schon starker Tobak. Es suggeriert nicht nur explizit ein Strassen-, sondern implizit auch ein Gesellschaftsbild, das es nicht nur nicht gibt, sondern mutmasslich nie gegeben hat.
Aus: Empfehlung Weihnachtsbeleuchtung Aarau, S. 2. Visualisierung erwünschtes Erscheinungsbild.

Eine Rechtsgrundlage für diese Vorschriften gibt es keine, deshalb die Bezeichnung «Empfehlung zur Dekoration». Es wäre also verfrüht, von einem bereits geführten Mist zu sprechen. Bleibt also die Frage: wenn es keine nennenswerten Gründe für diese Empfehlung gibt, wie kam sie zu Stande? Man kann nicht umhin, sich vorzustellen, dass sich Stadtpräsident und Stadtbaumeister in der Halle des dritten Stockes getroffen haben, über die Rathausgasse blickten und schwelgten, wie schön es wäre, würde doch vor ihrer Nase, rechts an der Ecke, nicht dieser Lichtervorhang hängen. In der Stille nach dem Klagen über soviel Licht könnte sich folgender Dialog zugetragen haben:

Hanspeter: Du, schriib doch e Broschüre.
Jan: Dasch e super Idee!

Die Realität ist oft nicht so, wie man sie sich wünscht. Und manchmal, manchmal ist sie auch so, dass das, was man fordert, das Gegenteil von dem ist, was man tut. Das sieht dann so aus, wie in der Aargauer Zeitung vom 7. Januar dieses Jahres dokumentiert (siehe Titelbild). Der einzige Lichtverschmutzer in der adventlichen Rathausgasse ist das Rathaus selber mit seinen 2800 Lumen hellen Kaltlicht-LED im Treppenhaus des Zentralbaus und den mit Lichtvorhänglein umkränzten Fenstern, mit denen sie selber zum «unerwünschten Erscheinungsbild mit verunklärenden Elementen» beitragen. Die Empfehlung an die Altstadtbewohner, ein klassischer Schuss ins Bein. Fiat Lux, möchte man da den Behörden zurufen: möge ihnen ein Licht aufgehen!
Titelbild: Aargauer Zeitung, 7. Januar 2021. Das Bild stammt aus dem Jahr 2015.