Kochtopf

Männer, die wie Forellen denken

Diesmal geht’s hier um Fische. Dazu sind wir mit Markus Jurt in die Aare gestiegen. Was der angefressene Fliegenfischer dabei erzählte, macht Appetit auf mehr. Und das, obwohl der Mann seine gefangenen Fische am liebsten gar nicht essen möchte.

Von René Moor
Bilder: Valentina Verdesca





Es ist nur eine kleine, elegante Armbewegung, die die lange Schnur in den blauen Himmel am alten Aarelauf bei der Pferderennbahn emporschiessen lässt. Sie schlägt einen weiten Bogen, dann noch einen, wie von Zauberhand dirigiert von Markus Jurt. Dann fällt die Fliege sanft aufs Wasser. Und flüstert dort sachte: «Komm, Fischlein, komm!»
Markus Jurt outet sich als Freak. Der Präsident der Fischerzunft Aarau und der Vereinigten Fischereivereine Aarau-Brugg gehört der Glaubensrichtung der Fliegenfischer an. Wer ein paar Stunden mit ihm am Wasser war, kommt in Versuchung in seinen Köder zu beissen.



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Fische als höchste Wesen


Fliegenfischen ist die hohe Schule des Angelns in der ursprünglichsten Art. Ach was! Es hat gar nichts mit Angeln zu tun, es ist ein Lebensgefühl, eine Naturreligion, deren höchste Wesen die Fische sind. Zu abgehoben? Also gut. Eine rein praktische Seite hat das Fliegenfischen auch. Um es zu erklären, müsste dieser Text allerdings länger als die Aare sein. Anders als alle anderen Fischer gehen Fliegenfischer ins Wasser. Zu den Fischen – nicht umgekehrt. Dazu bieten sie ihnen eine künstliche Fliege an. Durch verschiedene Wurftechniken landet dieser Köder zielgenau und sanft, wie eine echte Fliege im Wasser. Da man ohne Widerhaken angelt, ist Fliegenfischen nachhaltig und sehr tierschonend. Die gefangenen Fische können im Wasser wieder losgemacht werden, ohne sie zu verletzen. Und genau das möchten Fliegenfischer am liebsten tun: Die Fische wieder freilassen. Klingt paradox – ist es aber nicht. Denn Fliegenfischern geht es erst in zweiter Linie darum, Fische zu fangen und zu essen. Markus Jurt sagt es so: «Beim Fliegenfischen wirst du eins mit der Natur. Und wenn ich einen dieser wunderschönen Fische an der Rute habe, streichle und küsse ich ihn – und lasse ihn wieder frei.» Kein Wunder, habe ich den Verdacht, Markus Jurt denke längst wie eine Forelle. Wenn ich ganz genau hinsehe, kann ich sogar seine Kiemen sehen.

 



Den Köder um die Ecke werfen


Das Evangelium der Fliegenfischer ist der Roman «A River Runs Through It» (Aus der Mitte entspringt ein Fluss). Markus Jurt hat sich den Titel auf den linken Arm tätowieren lassen. Im Buch geht es natürlich ums Fliegenfischen, den Respekt vor der Natur und vor den Fischen. «Jemand, der nicht weiss, wie man einen Fisch fängt, darf ihm nicht dadurch Schande bereiten, dass er ihn fängt», ist ein Zitat daraus. Bis man weiss, wie es geht, brauche es zehn Jahre, sagt Markus Jurt. Diese Marke hat er längst geknackt. «Trotzdem gelingt mir nur jedes zweite Mal ein technisch sauberer Wurf.» Rund 50 solcher Würfe gibt es, mit einigen davon kann man den Köder auch um die Ecke werfen.


Aaraus Äschen sind nicht doof


Markus Jurt kennt hier jeden Meter der Aare. «Der Herrgott dachte schon an die Fliegenfischer, als er die Flüsse erschaffen hat», freut er sich, während er den Fluss mit wachem Auge liest. Er überprüft die Wasseroberfläche nach Ringen – feinen Zeichen, die einen Fisch verraten. Doch nichts geht, die Aarauer Äschen sind nicht doof.
Unsere Fast-Vegetarierin Rebecca Moser hat aber tapfer vorgesorgt: Als Ersatz für die schlauen Aare-Äschen, brutzeln bald ein paar Regenbogenforellen aus der Biofischzucht Nadler in Rohr auf dem Feuerchen am Ufer. In oben offene Alufolie-Schiffchen gepackt, von Rebecca mit Öl eingerieben, mit Salz und Pfeffer gewürzt und mit einer Stange Rebberg-Knoblauch im Bauch. «Wenn die Augen weiss werden, ist der Fisch durch», verrät Markus Jurt. Und es stimmt. Jeder Bissen dieser herrlichen Geschöpfe schmeckt wie ein Stück vom Glück.



Dann, kurz vor dem Aufbrechen, fangen Markus Jurts Augen nochmals zu leuchten an: «Der erste Fisch ist gesprungen!». Springen würde am liebsten jetzt auch er – mit der Rute in die Aare. Doch dann heult Büro-Ferienhund Duke sein Leeres-Magen-Elend in den Sonnenuntergang. Denn während wir alle satt und glücklich sind, kam der arme Tropf zu kurz. An sein Abendessen hat vor lauter Fliegenfischen keiner mehr gedacht.


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