Leseecke

Going zero

Ein Roman über die digitale Überwachungsindustrie und ihrer Verzwickungen.

Von Rahel Leibacher

 

Ausgangspunkt von McCartens Politthriller ist eine Übereinkunft des Multimilliardärs und Social-Media-Moguls Cy Baxter mit der amerikanischen Regierung. In einem Betatest eines von Baxters Firma Fusion entwickelten Überwachungsprojektes soll an zehn Probanden gezeigt werden, dass Fusion jede erdenklich mögliche Person aufspüren kann, auch wenn sie sich noch so gut versteckt. Teilnehmer:innen sind fünf Profis aus dem Umfeld des Geheimdienstes sowie fünf Laien. Schafft es einer der zehn, 30 Tage lang unentdeckt zu bleiben, erhält er drei Millionen Dollar. Werden alle aufgespürt gehen die CIA und Fusion eine Public-Private-Partnership ein mit dem Ziel, Verbrecher:innen vor einem Anschlag zu überwältigen.
Der Thriller liest sich anfänglich als amüsantes und ebenso fesselndes Katz-und-Maus-Spiel mit präzis gezeichneten Charakteren. Baxter, dessen Figur an Elon Musk erinnert, unterschätzt vor allem eine der Testpersonen ganz besonders. Kaitlyn Day, eine «einfache» Bibliothekarin, trickst die modernesten Überwachungstools aus. Baxter kann es nicht fassen, dass gerade sie für den Beta-Test ausgewählt wurde: «Eine Person, die mit Büchern zu tun hat? Der Rest der Welt war schon eine Generation zuvor auf Digital umgestiegen, und da sucht irgendein ein Blödmann einen Bücherwurm aus … als Herausforderung für Fusion?» Und doch hält gerade diese Bibliothekarin den gesamten Fusion-Trupp auf Trab. Als Leser:in fiebert man mit Kaitlyn Day mit und freut sich über jeden ihrer Schachzüge. Auf der Suche nach den Teilnehmer:innen decken die Spezialisten von Fusion jeden noch so kleinen digitalen Krumen auf. Sie holen Informationen aus Geo- und Kameradaten, aus Drohnenaufnahmen und Social-Media-Beiträgen, zudem werden Verhalten, Bewegungsmuster und Stimmen der Probanden analysiert und psychologische Profile aus all den gesammelten Personendaten erstellt. Und schliesslich funktionieren die Experten landesweit in Wohnzimmern stehende Fernsehgeräte zu Wanzen um, um Milliarden Privatunterhaltungen abzuhören und Stimmen herauszufiltern. Sie machen vor nichts Halt. 
Je tiefere Einblicke man in die Vorgehensweisen von Fusion erhält, umso mulmiger wird einem zumute. Jeder weiss zwar, dass er immer und überall digitale Spuren hinterlässt, doch wer beruhigt sich nicht selbst mit dem Gedanken, dass man ja nichts zu verbergen habe? Es geht ja allen gleich, die ein elektronisches Gerät benutzen, und so kann es auch nicht so schlimm sein, oder eben doch?
Die Story ist in zwei Phasen unterteilt. Die erste Phase nimmt knapp zwei Drittel des Buches ein und endet mit einem faszinierenden Plot-Twist ein. Diese unvorhergesehene Wendung ist Höhepunkt der Handlung. Die zweite Phase fällt im Vergleich zur ersten vor allem in Bezug auf Originalität ab und das Ende überzeugt nicht gänzlich. Nichtsdestotrotz besticht «Going Zero» durch Kreativität, Tempo und Überraschungen – ein unterhaltender Thriller, der den Zeitgeist trifft und definitiv zum Nachdenken anregt.
Der Autor: Der in Neuseeland geborene Anthony McCarten schreibt seit jungen Jahren Theaterstücke, darauf folgten Romane und Drehbücher. Der 62-Jährige lebt heute in London, wo er als erfolgreicher Drehbuchautor und Filmproduzent arbeitet.

Der Roman und das Hörbuch Going Zero sind in der Stadtbibliothek ausleihbar. Ebenso können sie als e-book und e-audio heruntergeladen werden.
Anthony McCarten / Going Zero. Diogenes 2023.