Am 12. April 1798 wurde die Helvetische Republik in Aarau ausgerufen und das Zweikammerparlament, der Grosse Rat und der Senat, konstituierten sich im Rathaus. Schon am folgenden Tag diskutierte dort der Grosse Rat, wie die Nationalkokarde bzw. – flagge der neuen Republik sein solle. Ein Mitglied schlug vor, eine einfarbige Kokarde zu wählen. Andere wollten eine dreifarbige. Ein Antrag, dass die eine Farbe grün sein solle, als Reverenz an die «Farbe der Freiheit» der revolutionären Waadt, wurde angenommen und darauf die Diskussion vertagt. Was wohl damals am Abend des 13. Aprils in den Gasthöfen von Aarau betreffend den Flaggenfarben bei Wein und Brot alles diskutiert wurde? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall beschloss am nächsten Tag der Grosse Rat, dass es eine dreifarbige Trikolore werden soll, oben grün, in der Mitte rot, unten (stroh-)gelb. Noch am gleichen Tag genehmigte der Senat diesen Beschluss und so war die helvetische Trikolore am 14. April 1798 geboren.
In den letzten Tagen wurde ich immer wieder gefragt, was das denn für Flaggen seien, die in der Rathausgasse (siehe Titelbild) hängen. Ob das nicht Flaggen eines afrikanischen Landes seien? Oder ob das nicht die Flagge der Rastafari sei, die Farben der Reggaemusik? Also die Flagge von Jamaica?
Um diese Verwirrung zu entwirren, lohnt es sich, auf eine grün-rot-gelbe Flaggenkunde einzutreten. Denn Helvetien war weltweit das erste Land mit einer Flagge in diesen Farben!
Danach führte das südamerikanische Bolivien 1851 eine rot-gelb-grüne Trikolore ein, es ist noch heute die Landesflagge. Sie war oben rot, in der Mitte gelb, unten grün.
In Afrika bestimmte das unabhängige Äthiopien 1897 ihre Landesflagge ebenso in diesen Farben; hier war grün oben, gelb in der Mitte und rot unten. Diese Trikolore ist im Kern bis heute gleich geblieben, je nach Zeitalter wurde sie zusätzlich mit einem Emblem (wie des Kaiserlöwens) ergänzt, welches jeweils in die Mitte der Flagge platziert wurde. Auch heute ergänzt ein Zusatzemblem in der Mitte diese äthiopische «Grund-Trikolore» in grün-gelb-rot.
Als Litauen in Europa 1918 unabhängig wurde, bestimmte sie eine Kommission, welche eine neue Flagge entwerfen sollte. Es wurde eine Trikolore, gelb oben, grün in der Mitte, rot unten, ausgewählt. Als das Land 1989 wieder unabhängig von der Sowjetunion wurde, konnte diese alte Flagge wieder eingeführt werden und weht heute noch als Landesfahne. Das gelb ist etwas dunkler gehalten als bei anderen Flaggen.
Als Ghana 1957 als erste Kolonie in Afrika unabhängig wurde, nahm sie die Flagge des immer unabhängig gewesenen Äthiopiens als Vorbild und kehrte die Farben der Flagge einfach um, oben rot, in der Mitte gelb, unten grün. Dazu kam ein schwarzer Stern in der Mitte. Dies wohl auch deswegen, um sich von der Flagge von Bolvien zu unterscheiden. Es ist noch heute die Flagge von Ghana.
Diese Bezugnahme auf die Flagge von Äthiopien durch Ghana legte den Grundstein für den Panafrikanismus. Viele danach neu unabhängig gewordenen Länder Afrikas kreiierten nun ihre Landesflaggen in diesen Farben und in dieser Tradition, öfters zusätzlich mit einem Stern. Natürlich mussten die Flaggen so gewählt werden, dass sie nicht mit bisherigen Flaggen anderer Länder identisch waren. Hier sind die weiteren Flaggen in den panafrikanischen Farben abgebildet.
Das 1974 unabhängig gewordene zentralamerikanische Grenada hingegen hat keinen Bezug zur panafrikanischen Bewegung, die Flagge wurde dennoch in diesen drei Farben gestaltet.
Die Flagge des ebenfalls zentralamerikanischen Jamaica hingegen, ist, anders als viele meinen, nicht in grün-rot-gelb gehalten:
Die Rastafari-Bewegung und der Reggae entstanden zwar in Jamaica. Aber die Rasta-Bewegung orientierte sich an Äthiopien, oder genauer, am Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, bzw. dessen Prinzennamen Lija Ras Täfärí Mäkonnen. «Ras» bedeutet in der amharischen Landessprache Äthiopiens «Kopf» und war einer der Titel am Kaiserhof. Die Farben der Rastafari-Bewegung sind darum die Farben der äthiopischen Landesflagge, nicht die Farben von Jamaica, sie werden meist in der Reihenfolge wie in der äthiopischen Flagge, zuweilen auch umgekehrt wie in Ghana, angeordnet. Und manchmal wird die Flagge auch mit dem Emblem eines Hanfblattes verziert:
Fazit dieses kleinen Exkurses im Vorfeld des «Tag der Republik» vom 12. April: Von all diesen späteren Geschichten wussten die Parlamentarier des Grossen Rates und des Senats in Aarau am 14. April 1798 nichts, als sie die Flagge der Helvetischen Republik in grün-rot-gelb bestimmten. Diese Flagge wehte zwar nur fünf Jahre in der Schweiz und wurde am Ende der Helvetik 1803 wieder eingezogen. Und viele vergassen sie auch danach.
Dass bisher kein Land der Erde ihre Flagge in der Farbenanordnung der Helvetischen Republik gewählt hat, ist überraschend und eigentlich ein Wunder. Fast jede andere mögliche Trikolorenkombination in diesen drei Farben wurde gewählt, ob waagrecht, senkrecht oder wie auch immer angeordnet. Nur die helvetische Flagge wurde bisher ausgenommen: Ob der Respekt vor der revolutionären Helvetischen Republik und der früheren helvetischen Flagge international so gross ist, dass sie uns deswegen niemand streitig machen will ;-)? Das wäre ein Grund, sie wieder einzuführen.
Wie auch immer: Wir können die helvetischen Flaggen in der Rathausgasse von Aarau heute aufhängen, und die Flaggen beziehen sich auf nichts anderes als auf die hier gegründete Republik. Das ist ein Zufall der Geschichte.
Dass uns aber so neue Verwandtschaften zufallen, zu Boliven und zu Litauen, zu Äthiopien und zu vielen anderen afrikanischen Staaten, und sogar zur Rastafari-Bewegung, das ist doch überraschend und spannend.
Vielleicht sollten diese Verwandtschaften in Aarau in zukünftigen «Tagen der Republik» gepflegt werden. Das wäre doch ganz im Sinn und Geist der Gründer:innen der Helvetischen Republik, damals vor 225 Jahren.
In den letzten Tagen wurde ich immer wieder gefragt, was das denn für Flaggen seien, die in der Rathausgasse (siehe Titelbild) hängen. Ob das nicht Flaggen eines afrikanischen Landes seien? Oder ob das nicht die Flagge der Rastafari sei, die Farben der Reggaemusik? Also die Flagge von Jamaica?
Um diese Verwirrung zu entwirren, lohnt es sich, auf eine grün-rot-gelbe Flaggenkunde einzutreten. Denn Helvetien war weltweit das erste Land mit einer Flagge in diesen Farben!
Danach führte das südamerikanische Bolivien 1851 eine rot-gelb-grüne Trikolore ein, es ist noch heute die Landesflagge. Sie war oben rot, in der Mitte gelb, unten grün.
In Afrika bestimmte das unabhängige Äthiopien 1897 ihre Landesflagge ebenso in diesen Farben; hier war grün oben, gelb in der Mitte und rot unten. Diese Trikolore ist im Kern bis heute gleich geblieben, je nach Zeitalter wurde sie zusätzlich mit einem Emblem (wie des Kaiserlöwens) ergänzt, welches jeweils in die Mitte der Flagge platziert wurde. Auch heute ergänzt ein Zusatzemblem in der Mitte diese äthiopische «Grund-Trikolore» in grün-gelb-rot.
Als Litauen in Europa 1918 unabhängig wurde, bestimmte sie eine Kommission, welche eine neue Flagge entwerfen sollte. Es wurde eine Trikolore, gelb oben, grün in der Mitte, rot unten, ausgewählt. Als das Land 1989 wieder unabhängig von der Sowjetunion wurde, konnte diese alte Flagge wieder eingeführt werden und weht heute noch als Landesfahne. Das gelb ist etwas dunkler gehalten als bei anderen Flaggen.
Als Ghana 1957 als erste Kolonie in Afrika unabhängig wurde, nahm sie die Flagge des immer unabhängig gewesenen Äthiopiens als Vorbild und kehrte die Farben der Flagge einfach um, oben rot, in der Mitte gelb, unten grün. Dazu kam ein schwarzer Stern in der Mitte. Dies wohl auch deswegen, um sich von der Flagge von Bolvien zu unterscheiden. Es ist noch heute die Flagge von Ghana.
Diese Bezugnahme auf die Flagge von Äthiopien durch Ghana legte den Grundstein für den Panafrikanismus. Viele danach neu unabhängig gewordenen Länder Afrikas kreiierten nun ihre Landesflaggen in diesen Farben und in dieser Tradition, öfters zusätzlich mit einem Stern. Natürlich mussten die Flaggen so gewählt werden, dass sie nicht mit bisherigen Flaggen anderer Länder identisch waren. Hier sind die weiteren Flaggen in den panafrikanischen Farben abgebildet.
Guinea
Mali
Senegal
Kamerun
Benin
Burkina Faso
Guinea-Bissau
Kongo
São Tomé und Príncipe
Togo
Mauretanien
Das 1974 unabhängig gewordene zentralamerikanische Grenada hingegen hat keinen Bezug zur panafrikanischen Bewegung, die Flagge wurde dennoch in diesen drei Farben gestaltet.
Die Flagge des ebenfalls zentralamerikanischen Jamaica hingegen, ist, anders als viele meinen, nicht in grün-rot-gelb gehalten:
Die Rastafari-Bewegung und der Reggae entstanden zwar in Jamaica. Aber die Rasta-Bewegung orientierte sich an Äthiopien, oder genauer, am Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, bzw. dessen Prinzennamen Lija Ras Täfärí Mäkonnen. «Ras» bedeutet in der amharischen Landessprache Äthiopiens «Kopf» und war einer der Titel am Kaiserhof. Die Farben der Rastafari-Bewegung sind darum die Farben der äthiopischen Landesflagge, nicht die Farben von Jamaica, sie werden meist in der Reihenfolge wie in der äthiopischen Flagge, zuweilen auch umgekehrt wie in Ghana, angeordnet. Und manchmal wird die Flagge auch mit dem Emblem eines Hanfblattes verziert:
Fazit dieses kleinen Exkurses im Vorfeld des «Tag der Republik» vom 12. April: Von all diesen späteren Geschichten wussten die Parlamentarier des Grossen Rates und des Senats in Aarau am 14. April 1798 nichts, als sie die Flagge der Helvetischen Republik in grün-rot-gelb bestimmten. Diese Flagge wehte zwar nur fünf Jahre in der Schweiz und wurde am Ende der Helvetik 1803 wieder eingezogen. Und viele vergassen sie auch danach.
Dass bisher kein Land der Erde ihre Flagge in der Farbenanordnung der Helvetischen Republik gewählt hat, ist überraschend und eigentlich ein Wunder. Fast jede andere mögliche Trikolorenkombination in diesen drei Farben wurde gewählt, ob waagrecht, senkrecht oder wie auch immer angeordnet. Nur die helvetische Flagge wurde bisher ausgenommen: Ob der Respekt vor der revolutionären Helvetischen Republik und der früheren helvetischen Flagge international so gross ist, dass sie uns deswegen niemand streitig machen will ;-)? Das wäre ein Grund, sie wieder einzuführen.
Wie auch immer: Wir können die helvetischen Flaggen in der Rathausgasse von Aarau heute aufhängen, und die Flaggen beziehen sich auf nichts anderes als auf die hier gegründete Republik. Das ist ein Zufall der Geschichte.
Dass uns aber so neue Verwandtschaften zufallen, zu Boliven und zu Litauen, zu Äthiopien und zu vielen anderen afrikanischen Staaten, und sogar zur Rastafari-Bewegung, das ist doch überraschend und spannend.
Vielleicht sollten diese Verwandtschaften in Aarau in zukünftigen «Tagen der Republik» gepflegt werden. Das wäre doch ganz im Sinn und Geist der Gründer:innen der Helvetischen Republik, damals vor 225 Jahren.
Titelbild: Aarauer Rathausgasse mit den Helvetischen Flaggen am 6. April 2023.
Über
Ausgewählte Aarauerinnen und Aarauer schreiben in der Rubrik «Gastkommentar» über ihre Sicht auf die Dinge und die Stadt.
Stephan Müller ist Szenograf und ehemaliger Einwohnerrat, sonst Stadtspaziergänger und Inserateakquisiteur für ein linkes Wochenblatt.
Bild: Thomas Widmer