Menschen

«In Aarau gibt es eine recht hoch entwickelte Kultur des Querdenkertums.»

Als Redaktor im Ressort Aargau West der Aargauer Zeitung hat Ueli die letzten Jahre über die Region Aarau berichtet und kennt die unterschiedlichen Facetten und Besonderheiten unserer Stadt. Langweilig ist ihm trotz der Kleinräumigkeit nie geworden und auch beim Frischpensionierten wird das kaum der Fall sein. Er wird mehr Zeit haben für seine persönlichen Interessen, die sich im musikalischen und literarischen Bereich ansiedeln. Einen besonderen Stellenwert hat weiterhin der Pferderennsport: Als Fotograf für das Online-Portal www.horseracing.ch und die «Pferdewoche» wird er auf den Schweizer Pferderennbahnen weiterhin anzutreffen sein. Und ab und an werden wir auch in der AZ, wo er als freier Mitarbeiter tätig sein wird, noch Berichte über Lokales aus seiner Feder lesen können. Denn die Lust am Schreiben ist noch da und Geschichten gibt es genug in unserer Kleinstadt.

Von Silvia Dell’Aquila

Bild: Roman Gaigg

Ueli, 65, pensionierter Redaktor, Fotograf, Historiker

Was hat dich nach Aarau geführt?


Meine Frau ist in Erlinsbach SO – damals noch Niedererlinsbach SO – aufgewachsen. Wir kennen uns seit 1982, vom Geschichtsstudium in Zürich. Offiziell habe ich 1984 von Richterswil, von der Zürichsee-Pfnüselküste, ins Aarauer Nebelloch gezügelt. Deswegen Wolf Biermann zu zitieren («Ich kam vom Regen in die Jauche»), liegt mir freilich fern …

Was gefällt dir hier besonders und was gar nicht?


Ich sage jetzt nicht, es sei der Nebel, der mir besonders gefalle. Aber die Aare, zu welcher der Nebel nun einmal gehört. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich den Zürichsee nicht vermisse. Nein, der Kanal- und Flusslandschaft kann ich im Grunde mehr abgewinnen als dem See, den meines Wissens ein französischer Reiseschriftsteller schon lange vor unserer Zeit als «trop meublé» bezeichnet hat. Aarau ist in der Schweiz geografisch perfekt gelegen zwischen Ost und West, zwischen dem Jura und den Tälern des Mittellandes. Aarau ist urban, verfügt über eine gute Infrastruktur, auch kulturell, und weist trotzdem eine handliche Grösse auf. Ich glaube nicht ans insgesamt Bessere der angeblich «guten alten Zeiten», aber in Aarau gibt es manche Orte, die noch eine frühere, auf ihre Weise menschengerechte Lebensqualität atmen – sei es beispielsweise im Hammer, in der Gartenstadt oder an der Erlinsbacherstrasse. Aarau ist kein anonymer, bloss funktionaler Moloch. Der stete Wandel ist normal, aber wenn mir etwas nicht gefällt, dann selbstredend Bestrebungen, die am Charakter der Stadt etwas fundamental ändern würden.

Du warst lang als Journalist tätig und hast in den letzten Jahren vor allem über die Stadt und Region Aarau berichtet. Wurde dir in dieser Kleinstadt (journalistisch) nie langweilig?


Nein, keineswegs. Die Kleinstadt Aarau weist genügend Facetten auf, welche Geschichten möglich machen, die jeweils wiederum zumindest ein bestimmtes Segment der Leserschaft interessieren. Auch die Aussengemeinden, für die ich zuständig war – Gränichen, teilweise Suhr und beide Entfelden – generieren interessante Geschichten, einfach weniger oft als die Zentrumsgemeinde Aarau. Es wäre auch falsch zu meinen, die wirklich spektakulären Geschichten seien das Einzige, was zähle. Eine Zeitung kann und muss, gerade auf kommunaler Ebene, auch das Unspektakuläre bewirtschaften. Das ist, wenn es um Politik geht, in der Demokratie eine Art «service public». Manches in einer Vorschau zu erklärende und auf den ersten Blick trockene Einwohnerratsgeschäft fällt in diese Kategorie. Aber natürlich lebt der Journalismus von den Konflikten. Und an solchen fehlt es in Aarau nicht. Es gibt hier beispielsweise eine recht hoch entwickelte Kultur des Querdenkertums, des Hinterfragens und der Bereitschaft, die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen. Natürlich hat das mitunter zwei Seiten und dazu kann man stehen wie man will. Aber sicher ist, dass es einem als Lokalredaktor so nicht langweilig wird.

Gab es in deiner Karriere eine besonders spannende Geschichte in Aarau, über die du berichten konntest? Hat dich ein Ereignis oder haben dich bestimmte Vorgänge in der Stadt genervt?


Zur Zeit der Parteiblätter waren Journalisten auch Politiker. Im Zeitalter der Forumszeitungen ist das passé. Du musst akzeptieren, dass du Journalist bist, nicht Politiker. Was sollst du dich also ärgern? Wenn du eine entsprechende Funktion bekleidest, kannst du als Redaktor einen Meinungsartikel schreiben. Ich habe Hunderte von Kommentaren geschrieben, die meisten zu kantonal- und bundespolitischen Themen fürs Oltner Tagblatt, wo ich über 30 Jahre arbeitete, die letzten Jahre bis zum Wechsel nach Aarau (2015) als stellvertretender Chefredaktor. Aber ich habe – auch nachher in den paar wenigen Meinungstexten für die AZ – mehr analysiert denn Ärger kompensiert. Aber klar: Wenn du schätzungsweise 400 Parlamentssitzungen auf den Stufen Kanton, Bund und Kommune hinter dir hast, kennst du im Prinzip das System und schüttelst im Einwohnerrat vielleicht schon einmal innerlich den Kopf auf der Pressetribüne. Zu sagen, ich hätte mich genervt, ginge zu weit, aber beim gutgeheissenen Antrag der Grünliberalen, der die Schuldenbremse ad absurdum führte, zweifelte ich ernstlich daran, dass das im Sinne des Instruments der Volksinitiative war. Besonders spannend waren für mich auch die zahlreichen Gerichtsfälle, über die ich geschrieben habe. Herausragend war dabei jener vom angeblichen «Reibkäseklau». Nicht nur, weil er in seiner Entstehung absurd war, sondern auch, weil hier das Wächteramt der Medien letztlich messbare Folgen zeitigte.

Die beste Bar, das beste Restaurant, der beste Club und deinen Lieblingsladen in Aarau?


Beim Werbespot muss ich weitgehend passen, weil mir die empirischen Grundlagen für ein Urteil fehlen. Ich bin wohl ein knauseriger Stubenhocker. Die Aarauer Bars kenne ich nur von aussen. Auch Restaurants frequentiere ich (ausser in den Ferien) nur in Ausnahmefällen, weil ich lieber selbst koche. Immerhin: In einem Club bin ich tatsächlich Member: Bei den Nachbarn vom «Les Amis» verfüge ich noch über ein Guthaben, weiss aber nicht mehr, wann ich das letzte Mal davon gezehrt habe. Und, ja, der Lieblingsladen? Ich versuche es mit einer diplomatischen Antwort: Mein Lieblingsladen hat schon vor Jahrzehnten dicht gemacht: Comestibles Fischer. Es muss nicht immer Rebhuhn sein, aber wo in Aarau kriege ich heutzutage eins, wenn mir der Sinn danach steht?

Auf was freust du dich, wenn du nach den Ferien nach Aarau zurückkommst?


Auf unsere Terrasse und die Wohnung mit all den Dingen, die man nun einmal nicht in die Ferien mitnimmt – etwa bestimmte Musikinstrumente. Und auf die privaten und kollektiven Traditionen des Jahreslaufs. An Termine gebundene Traditionen, seien es historische oder auch Feste wie in Aarau der Maienzug und der Bachfischet strukturieren das Jahr und geben einem einen örtlichen Halt. Ich denke, das kann man «Heimat» nennen. Zu Hause freue ich mich im Voraus, während der ganzen Planungsphase, auf die Ferien, das Unvertraute, Anregende – und in den Ferien, ganz am Schluss, auf das Vertraute zu Hause.