Gastkommentar

Januarloch

Da bin ich im Januar dran, zu Aarau zu schreiben. Was denn?

Von Stephan Müller

 

 

 

Wir sprechen vom Januarloch. Wikipedia definiert es so: «schweizerisch: (nach den Weihnachtsfeiertagen und Silvester) im Januar auftretende Periode, in der eine markante Verringerung der allgemeinen (besonders geschäftlichen, politischen, kulturellen) Betriebsamkeit und Stimmung auftritt (die sich unter anderem in einer reduzierten Kaufbereitschaft bemerkbar macht).»

Spüre ich das Januarloch? Irgendwie schon: Zumindest in der Stimmung. Gemäss Wikipedia soll es ja eine schweizerische Sache sein, das Januarloch. Dazu kommt mir die Definition zur Schweiz in den Sinn, welcher der amerikanische Botschafter Scott Miller im März 2023 in einem Interview mit der NZZ ausführte: «Die Nato ist gewissermassen ein Donut – und die Schweiz das Loch in der Mitte. Sie profitiert von der Zusammenarbeit mit der Allianz.»

Die Schweiz als ein Loch im Donut Süssgebäck, wir zeitlich im Januarloch gefangen. Gibts denn keine Möglichkeit, sich aus diesen Löchern zu befreien? Kann man sich nicht quasi an den Haaren aus dem Sumpf bzw. aus den Löchern ziehen?

Vielleicht gilt es ja einfach abzuwarten. Im Warten wird der Januarloch irgendwann vergehen. Und das Schweizerloch wird ja durch die Nato ringsum geschützt, also sich nur nicht bewegen, sich nicht bemerkbar machen, neutral stillsitzen und versuchen so im Loch zu verschwinden, als ob es uns nicht gäbe.

Man sagt ja umgangssprachlich auch, jemand starre Löcher in die Luft. Man ist dann nicht ansprechbar, lässt die Gedanken schweifen, langweilt sich vielleicht auch.

Löcher in die Luft starren als Mittel gegen Januarloch und Loch im Donut?

Darf man Aarau als Loch bezeichnen? Als schwarzes Loch? In der Astronomie ist ein schwarzes Loch ja so definiert: extrem viel Masse auf extrem kleinem Volumen. Die Gravitation sei dort so stark, dass nicht mal Licht sich entfernen kann, wenn es dem Schwarzen Loch zu nahe kommt.

Aarau hat ja ein sehr kleines Volumen. Und die Masse der Stadt wiegt schwer? Oder die Masse der Schwierigkeiten in der Stadt wiegt schwer? Wird die Masse der Schwierigkeiten kleiner, wenn das Städtchen das Volumen steigert in Fusionen mit dem Umland?

Bei Depressionen wird ja häufig gesagt, man falle tief in ein Loch.

Sind wir, ist die Schweiz, ist Aarau tief in einem Loch gefangen? Das Süssgebäck ist begehrenswert um uns herum, wir aber bleiben im Loch, sind das Loch?

Im goldigen Loch, mit viel Geld, gefangen, frei nach Dürrenmatt bewachen wir uns darin auch noch selbst? Die Cree-Indianer sagen gemäss ungesicherter Überlieferung: «Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.»

Dann doch lieber Löcher in die Luft starren?

Wenn dann das Januarloch vorbei ist, wird das betriebsame Gerede in alle Richtungen so richtig wieder losgehen: Was soll Aarau, was soll die Schweiz, was sollen wir in Europa? Verträge mit Europa abschliessen? Wieso kommen so viele hierher, wieso herrscht bei uns ein Fachkräftemangel? Können wir uns eine 13. AHV-Rente leisten, oder gibts sonst ein riesiges AHV-Loch und wir brauchen all unser Geld nur für allfällige Bankenrettungen? Liechtenstein ist noch viel kleiner, quasi ein «Nebenloch» zur Schweiz, kann sich aber eine 13. AHV-Rente für alle leisten. Wieso?

Merkwürdige Löcherpsychologie.

Man kann ja bei uns teure Hosen mit Löchern kaufen. Man zahlt dafür, dass es so aussieht, als ob die Hosen durch die Abnützung Löcher hätten, diese sind aber neu und unabgenützt.

Haben wir ein Problem mit Löchern? Haben wir im Loch gar Angst vor einem Loch?

Im Mittelalter gab es fensterlose Lochgefängnisse. Dort wurden die Gefangenen ohne Licht gehalten. Da wäre es zynisch, sagte man, diese Gefangenen hätten Löcher in die Luft gestarrt.

Es ist Januar. Der grösste Teil des Jahres 2024 steht noch vor uns.

Hoffen wir auf ein gutes, solidarisches, lichtes Jahr, überall und für alle!

Nicht?
Titelbild: Verschiedene Bäckereien bieten ein «Januarloch-Brot» an. Im Bild das Januarlochbrot von der Bäckerei Riboli, Winterthur.