Gastkommentar

Kleider machen Aarau: Aarau macht Kleider

Aarauer Mode ist viel mehr als «weisse Socken», die dem Kanton Aargau gerne zugeschrieben werden. Die Stadt erlebte einst eine Blütephase der Textilindustrie, welche die Mode in Aarau sicherlich beeinflusst hat.

Von Lydia Klotz und Eleonora Sartori

Im Winter 2016 haben wir uns in einem unserer Lieblingscafés, dem «Home Barista Shop» getroffen und entschieden, dass wir die Maturaarbeit gerne gemeinsam verfassen würden. Angefreundet hatten wir uns aufgrund der Mode. Jeden Tag in der Schule unterhielten wir uns darüber. Deshalb war es für uns naheliegend, dass wir unsere Maturaarbeit über Mode schreiben würden. Wie einige wohl wissen, sind wir von diesem Thema wieder abgekommen und haben einen Stadtplan von Aarau kreiert. Doch nun würden wir gerne das Thema «Mode» für den aktuellen Gastkommentar wieder aufnehmen.
Denn «Aarau» und «Mode» sind stärker miteinander verstrickt, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Modische Zeitreise


Noch heute erinnern einige Zeichen in der Stadt an die Aarauer Textilindustrie. Um diese Verstrickung zu illustrieren, nehmen wir euch nun mit auf eine kleine Zeitreise in das Aarau des 18. und 19. Jahrhunderts.
Die Textilindustrie etablierte sich in Aarau ab dem 18. Jahrhundert. Insgesamt liessen sich in der relativ kurzen Blütezeit der Aarauer Textilindustrie 9 Baumwoll-verarbeitende Betriebe, 5 Seidenbandunternehmen und 1 kleine Tuchfabrik nieder. Insbesondere im Hammer siedelten sich aufgrund der Nähe zum Stadtbach viele Betriebe an. So gründete Johannes Herzog am Stadtbach zu Aarau die erste mechanische Baumwollspinnerei im Aargau. Die Familie Frey betrieb ein Quincaillerie-Warengrosshandel sowie eine mechanische Baumwollspinnerei und -weberei. Johann Georg Hunziker vertrieb in seinen Magazinen an der Laurenzenvorstadt rohes Baumwollgarn und beschäftigte mehr als 2400 Heimarbeiter. Er verkaufte in seinem Unternehmen 1850 bis zu 70’000 Stück Baumwollstoffe. Diese wurden insbesondere von englischen und schottischen Abnehmern bezogen, was verdeutlicht, dass Aarau schon lange in internationale Beziehungen einbezogen ist. Auch für die Seidenbandherstellung war Aarau bedeutsam: Um 1800 war die Firma Johann Rudolf Meyer + Co «das erste Haus am Platze» und fertige 70 verschiedene Bandsorten. Diese Aarauer Seidenbänder fanden ihren Absatz vor allem in West- und Osteuropa sowie in Indien und Amerika. Später übernahm Friedrich Feer die Firma und so gelangten die Seidenbänder 1857 sogar an die Weltausstellung in Paris. Die Bezeichnung «Tuchlaube» erinnert ebenfalls an den Tuchhandel. Ist die Tuchlaube heute für das Theater und gutes Essen und Trinken beliebt, so wurden früher im 1. Stock Tücher getauscht.
Nach einer intensiven, aber eher kurzen Boomphase ging die Aarauer Textilindustrie Ende des 19. Jahrhunderts langsam den Bach runter. Leider nicht wortwörtlich den Stadtbach entlang, sondern sie verschwand fast vollkommen aus der Kantonshauptstadt. Zählte Aarau 1882 noch 11 Textilbetriebe, waren es 1914 nur noch 4. 1870 beschäftigte die Aarauer Textilbranche 1004 Personen, 1890 nur noch 498. Gründe waren die Wirtschafts- und Währungskrisen zwischen 1854 und 1880 sowie Schutzzölle, grössere Konkurrenz aus dem Ausland und eine Umstrukturierung der Wirtschaft.



Läuft man den Hammer entlang, kann man sich noch etwas in die damalige Zeit zurückversetzen. Alte Schriftzüge und Häuser zeugen von dem ehemaligen Industriequartier. In der Metzgergasse ziert ein grosses Gemälde die Hausfassade mit dem Spruch «Kleider machen Leute». Auch erinnern Strassennamen wie Färbergässli und das Färberhöfli an diese Zeit.

Doch wie ist die Mode- und Textilsituation in Aarau heute?


Den meisten Städten wird ein Kleiderstil zugeordnet, so beispielsweise Zürich, in welchem der Kleiderstil als adrett bezeichnet wird. Aber haben die Textilindustrie und -geschichte Aaraus Modebewusstsein geprägt?
Bei einem Blick auf unseren Stadtplan und beim Schlendern durch die Stadt wird einem bewusst, wie viele Stoff- und Kleiderläden Aarau bietet. Beeindruckend ist auch die Vielfalt an Nähkursen, welche angeboten werden. Ausserdem gibt es das Lehratelier für Modegestaltung, welches Bekleidungsgestalter:innen ausbildet.
Ob dies Überbleibsel der Modegeschichte Aaraus sind, ist schwer zu sagen, doch Aarauer:innen scheinen Mode und Stoffe auch heute noch zu begeistern. Ende April hat sich Aarau das erste Mal an der Fashion Revolution Week beteiligt. Die Fashion Revolution Week ist eine Aktionswoche, welche um den Jahrestag des Textilfabrikeinsturzes von Rana Plaza (Bangladesch) herum stattfindet und an welchem viele Städte Anlässe organisieren. Im Rahmen der Aktionswoche 2021 hat Aarau einen Kleidertausch im Stadtmuseum organisiert. Mode in Aarau scheint somit eng mit Nachhaltigkeit verbunden zu sein. Diese Aussage wird unterstützt durch Läden wie Fairjeans, Tüll & Müll oder dem bis Ende April existierenden Pop-up-Store Second Fish und vielen weiteren, welche Mode nachhaltiger gestalten und von Fast Fashion wegkommen möchten. So wird es am 5.Juni in Aarau einen Verkauf von außergewöhnlichen Second Hand Stücken geben (Instagram: better_be_wise).
Modebewusst treten auch die Mitarbeiter:innen einiger Cafés und Restaurants auf: Bei einem Besuch im Café Luckymonkey beispielsweise, wird man in die 50ies zurückversetzt. Von den Kleidern bis zu den Frisuren, alles passt! Wer in ein noch anderes Jahrzehnt, die golden 20ies, reisen möchte, sollte das Waldmeier besuchen.
Auch Mode von der Stange kann begeistern. So bietet Aarau unzählige Kleiderboutiquen, Hipsterläden und Designläden. Für eine relativ kleine Stadt eine grosse Auswahl! Für jede und jeden ist etwas dabei.

Die Antwort auf die Frage, wie denn der Aarauer Modestil ist, wird durch die vielfältigen Läden und Boutiquen mit verschiedenen Stilen nicht vereinfacht. Wir haben deshalb auf Instagram eine Umfrage gestartet auf der Suche nach einem «Aarau-Look». Insgesamt haben uns 120 Personen geantwortet. Vielseitige Statements haben wir erhalten, wie der Aarauer Modestil ist: «little bit edgy, skater, boho mixed with casual, classy and sporty» (Julia Walther) oder «normal bodenständig, sportlich lässig, aber auch elegant, genau richtig» (Maëlle Mühlethaler). Die multiple-choice Antworten reichten von «Aarauer fashion gibt es (noch) nicht» (36 Antworten) zu «funktional/lässig» (50 Antworten). Eine klare Stilrichtung hat sich aus der Umfrage (leider) nicht ergeben. Wir beide sind der Meinung, «die Mischung macht’s aus». Schlendert man durch die Gassen Aaraus, begegnet man jeglichen Modestilen. Jeder auf seine Art und Weise einzigartig. Doch ein klarer Modestil lässt sich kaum herauskristallisieren. Eins ist aber klar: Weisse Socken machen unseren Stil definitiv nicht aus, zumindest nicht nur.

Für alle Modebegeisterten haben wir auch gleich noch einen passenden Ausflugstipp. Das Bally-Areal in Schönenwerd ist gerade in dieser Jahreszeit wunderschön. Hier begann die Geschichte des erfolgreichen Schuhherstellers. Den Park liess Carl Franz Bally errichten, damit sich die Arbeiter:innen dort erholen konnten.

Vielleicht gibt es bald eine Aarauer Fashion Week, wie es sie in Berlin, New York und Paris schon lange gibt? Models, die den Graben entlang laufen und die neuesten Aarauer Modepieces präsentieren? Wir wären auf jeden Fall dabei! Bis dahin freuen wir uns, weiter täglich im Aarauer Stadtbild abwechslungsreiche, coole, kreative und lässige Outfits zu beobachten und uns inspirieren zu lassen.

Die Infos zum Absatz «Modische Zeitreise» basieren auf dem Buch «Geschichte der Stadt Aarau» von Alfred Lüthi, Georg Boner, Margareta Edlin und Martin Pestalozzi. Verlag Sauerländer. Aarau. Frankfurt am Main. Salzburg. 1978. Es war eine zentrale Quelle für unsere Maturaarbeit und bietet einen tollen Überblick über die Geschichte der Stadt.