Voyeur:in

Neues Leben im Altstadthaus

An einem lauen Herbstnachmittag dürfen wir Corinne besuchen. Sie öffnet uns die Türen in ihr zentral gelegenes, aber dennoch scheu verstecktes Altstadthaus und erzählt vom Leben in diesen historischen Mauern.

Von Olga Kuck

Bilder: Roman Gaigg

Vor Kurzem hat Corinne ihr externes Atelier nach Hause gezügelt. Auf dem Tisch der mehrfach ausgezeichneten Modedesignerin liegen Stoffe, Skizzen und filigranes Werkzeug. Neu teilt sie sich den Arbeitsplatz mit ihrem Partner, der als Architekt tätig ist. Hauptberuflich unterrichtet Corinne Kunst und Gestalten und ist auch in der Schulleitung tätig. Dass sie mal Vollzeit in der Schule angestellt ist, hätte sie nie von sich gedacht. Ab Januar wird sie ausserdem noch an der Schule für Kunst und Design (SKDZ) am Vorkurs unterrichten.
Der pelzige Mitbewohner hat es sich bequem gemacht.

Das Gefühl für Farben und Formen erkennt man an der Einrichtung des Hauses sofort. Leider gehört es nicht Corinne und ihrem Partner, sondern einem Eigentümergeschwisterpaar. Alle vier lieben das Haus mit all seinen Besonderheiten. So zum Beispiel der kleine Brunnen, der in der Wand im ersten Stock eingebaut ist. Oder die zwei Balkone, welche Richtung Altstadt gewandt sind. Auch der Warenlift, der leider ausser Betrieb ist, gehört zu den aussergewöhnlichen Extras.
Blick aus der Küche

Es hat nicht nur Vorteile, in einem Altstadthaus zu leben. Die Wände sind sehr dünn und gerade in einer so lebendigen Stadt wie Aarau ist es manchmal schwierig, Ruhe zu finden. Corinne hat sich trotzdem vom ersten Augenblick an in das Haus verliebt und ihren Partner davon überzeugt, sich als Mieterpaar zu bewerben, obwohl es für sie alleine zu viel Platz war. Eine Zeit lang haben die beiden einen Stock an ein Grafikbüro untervermietet. Nun sind sie wieder ganz unter sich – inklusive ihrem Hund, einem French Bulldog. Doch eine:n Untermieter:in im gewerblichen Bereich suchen die beiden immer noch, denn das Haus ist immer noch einen Tick zu gross für die beiden.
Hier gelangt man auf den oberen Balkon, von dem man eine herrliche Sicht auf das städtische Treiben hat.

Das Zuhause von Corinne bietet sich für stimmige Fotos geradezu an. Wohin man blickt zaubert das Licht, das Holz und die natürliche Schräge des Gebäudes einmalige Sujets. Man kann die Geschichten, die in diesem Haus schon passiert sind, fast ein bisschen spüren.
Schattenspiele auf Parkett

Wunderschöne Deckenmuster und weitere Details verzaubern.

Im Dachstock finden wir die alte Ladentür eines Messerschmiedes und werden dann durch die Luke auf die Dachterrasse geführt, die einen atemberaubenden Ausblick auf die Stadt bietet.
Wir dürfen hoch hinaus.

Die Dachterrasse bietet einen atemberaubenden Ausblick über die Dächer von Aarau.

Das Paar ist erst ungefähr eineinhalb Jahre hier, obwohl man als Aussenstehender den Eindruck hat, dass Corinne und das Haus zusammengehören wie alte Freunde. «Wenn man mit mir wohnt, muss man ständig umziehen!», sagt Corinne lachend. Ihr Traum wäre es, gemeinsam mit anderen Künstler:innen ein Wohnatelier zu gründen. Dieser Traum braucht aber noch Zeit, gute Planung und die passende Immobilie – dann wird Corinne ihre Koffer erneut packen. Unterdessen möchte sie aber hier bleiben, hier fühlt sie sich zuhause. Und irgendwas sagt mir, dass dieses Haus die sympathische Aarauerin noch eine Weile in seinem Bann halten wird.
Corinne erzählt uns, dass sie von dieser Anhöhe alle sehen kann, aber keiner sieht hinauf. «Ach wie gut, dass niemand weiss … »

Dass sich hinter dieser Tür ein heimeliges Paradies befindet, würde man nicht sofort glauben.

Das Forum Schlossplatz zeigt noch bis am 9. Januar 2022 die Ausstellung «my home is my castle – das Private als Schutzraum». Die Ausstellung formuliert die ambivalente Kostbarkeit unseres Daheims und setzt damit ein Fragezeichen hinter die im Volksmund geläufige Redewendung. We Love Aarau zeigt während der Ausstellungsdauer in der Rubrik «Voyeur:in» wie Aarauer:innen wohnen – in verschiedenen Quartieren Wohnsitautionen und Wohnformen. Was zeigen die Menschen, was geben sie preis oder schützen als Privatsphäre? Was beschäftigt sie an der Wohnsituation oder was gefällt ihnen gut? Was ist ihnen beim Wohnen wichtig? Die ersten Portraits sind eine Kooperation mit dem Forum Schlossplatz und auch in der Ausstellung einsehbar – und zwar in der dort eigens eingerichteten «guten Stube».