Stadtgespräch

«Nicht nur von den Linken für die Linken»

In Aarau wird ab nächstem Jahr die Revolution gefeiert. Dahinter steckt eine Motion, die beim Stadtrat für Unmut sorgte – und eine serbo-kroatische Version der Schweizer Nationalhymne.

Text und Bilder: Miriam Suter

Ab nächstem Jahr ist der 12. April in Aarau offiziell ein Feiertag, der «Tag der Republik», beziehungsweise «Tag der Revolution». Erreicht hat das eine Motion, eingereicht von Ivica Petrušić (SP) und Stephan Müller (Jetzt!). Wohl nicht ganz unschuldig daran, dass die Motion trotz Widerstand seitens Stadtrat knapp angenommen wurde, ist Einwohnerrat und CVP-Mitglied Peter Roschi. In der Tuchlaube, einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, wo der Schweizer Jurist, Historiker und Schriftsteller Peter Ochs am 12. April 1798 die helvetische Republik auf dem Balkon ausrief, treffen wir uns zum Gespräch.

2011 wollte Ivica Petrušić die Schweizerfahne abschaffen – so jedenfalls titelten damals diverse Medien. Der damalige Vizepräsident der Bewegung Second@s Plus hielt an einem Event eine Rede darüber, wie sich die eigene Identität formt in einem Land, in dem man zwar lebt, aber irgendwie nicht so richtig dazu gehört. «Damals ging es mir darum, dass die Symbole in der Schweiz alle, die hier leben, repräsentieren sollten und alle die in einem Land leben auch mitbestimmen können.», erklärt Petrušić bei einem Gespräch in der Tuchlaube. Bei den Recherchen für seine Rede stiess er auf die immer noch provisorische Hymne der Schweiz und später auch auf die ehemalige Flagge der helvetischen Republik: 1798 eingeführt, Grün, Rot und Gelb gestreift repräsentierten die Farben die damaligen Gründungskantone der Schweiz: Uri, Schwyz und Unterwalden. Das sei doch eine Fahne, die die heutige Schweiz viel besser zusammenfasse, fand Petrušić weil in dieser kurzen Zeit alle Menschen – zumindest die Männer–, die in der Helvetik eine Niederlassung hatten, auch mitbestimmen konnten, auch Zugewanderte. Auch die Schweizer Nationalhymne könnte man mal überdenken, eine Version in einer seiner Muttersprachen «serbo- kroatisch» wäre doch auch spannend, und so nahm Petrušić kurzerhand mit seiner Band «Šuma Čovjek» eine neue Version auf.

Elf Jahre bevor Petrušić aufgrund seiner Aktionen anonyme Morddrohungen erhielt, feierte Stephan Müller im Forum Schlossplatz Vernissage des Abschlussprojekts seines Szenografie-Studiums an der ZHdK: eine szenografische Auseinandersetzung mit dem Thema Helvetik, das Gebäude erstrahlte damals in den Farben – natürlich – Grün, Rot und Gelb – das Thema fasziniert Müller seit jeher, erzählt er. Er sitzt neben Petrušić vor einer Tasse Kaffee und bekommt glänzende Augen, wenn er über Helvetik spricht: «Aarau war einmal die Hauptstadt der Schweiz! Hier, auf diesem Balkon dort drüben, wurde die Revolution ausgerufen», sagt er und zeigt auf das Rathaus. Nachdem Müller Petrušićs «neue» Nationalhymne gehört hatte, fanden zwei zusammen, die eine Leidenschaft teilen. Für die beiden ehemaligen Einwohnerräte war klar: Aarau braucht einen neuen Feiertag, einen eigenen, der diesem Fakt huldigt. 2011 war aber noch nicht die Zeit für eine entsprechende Motion: «Wir wollten zuerst die Aufregung um unsere Aktion etwas abflachen lassen», erzählt Petrušić.



Acht Jahre scheinen genug Zeit zu sein. Am 12. April 2019 haben Müller und Petrušić beim Stadtrat eine Motion eingereicht mit der Forderung, den 12. April ab 2020 in Aarau zum Feiertag zu machen – inklusive einer jährlichen, von der Stadt organisierten Feier und kostenloser Nutzung der Räume im Rathaus und im Haus zum Schlossplatz für Diskussionen oder Panels. Der Stadtrat stellte sich anfangs quer: Dieses Anliegen sei nicht motionsfähig, es falle nicht in den Bereich des Einwohnerrats, hiess es. Diesen Montagabend wurde die Motion vom Einwohnerrat trotzdem angenommen: mit 26 zu 23 Stimmen. «Dass wir mit unserem Anliegen erfolgreich waren, liegt nicht zuletzt an Peter Roschi», erklärt Müller. Roschi sitzt mit am Tisch, er ist Mitglied des Einwohnerrats und der CVP – und war aus Müllers Sicht wohl auch deshalb eine wichtige Stimme für die Annahme der Motion. Mit dem Organisieren von Events kennt er sich aus: Er war Initiant und Mitglied des ETF-Orchesters welches im Juni 2019 die Eröffnungsfeier des ETFs umrahmte, Chef Musik des eidg. Volksmusikfeste 2015, verantwortlich für das Musikprogramm auf der Raiffeisenbühne am MAG, Mitglied und Intendant der Aarauer Turmbläser, Altstadt Marching Band, Alphorn Trio Argovia. 1998 war Roschi ausserdem Teil des Teams hinter «Aar-Grandissimo» – ein Fest der Superlativen, auch in Sachen Verluste, man schrieb damals rund eine Million an Defiziten. Das Fest am 12. April 2020 wird aber viel kleiner, man beschränkt sich vorerst auf die Rathausgasse. Ein Fest als Erinnerung daran, dass die helvetische Revolution hier in Aarau ausgerufen wurde, findet er eine tolle Idee: «Wichtig ist mir, dass es wirklich ein Anlass für alle ist», sagt Roschi. «Das soll eben nicht nur etwas von den Linken für die Linken sein», präzisiert Müller. Und Petrušić ergänzt: «Eigentlich find ichs auch doof, dass jetzt hier am Tisch drei Jungs mit dir sitzen. Ich will, dass das OK-Team für das Fest so divers wie möglich ist. Es braucht unbedingt mehr Frauen als Männer, viele Junge und viele Migrantinnen und Migranten.»

Wie genau das Programm am 12. April 2020 aussieht, ist noch ungewiss. Möglich wäre beispielsweise, die Revolution erneut auf dem Rathaus-Balkon auszurufen – «am besten macht das eine Frau!», sagt Müller. Das nötige Geld soll von Stiftungen und Institutionen kommen, beispielsweise vom Swisslos-Fonds. «Aus Sicht der Stadt hätte das ein privates Fest werden sollen, aber das wollten wir eben nicht», meint Müller. Und auch für Petrušić ist klar: «Dieser Feiertag ist doch klar ein Volksbegehren!».

Übrigens: Ein erstes revolutionäres Treffen gibt es bereits. Am 26. Oktober 2019 um 13.00 Uhr trifft sich das Trio – passenderweise – vor dem Rathaus, unter dem Balkon. Müller freut sich schon jetzt: «Wer Lust hat, sich an der Organisation der Feierlichkeiten zu beteiligen, ist herzlich zu diesem Treffen eingeladen».
Titelbild: Stephan Müller (links), Ivica Petrušić (rechts) und in der Mitte Peter Roschi.