Zeitreise

Pest, Cholera und «Spanische Grippe»

Das gegenwärtig grassierende Corona-Virus weckt beim Historiker Erinnerungen an frühere Seuchenzüge, die auch vor den Toren von Aarau nicht Halt machten.

Von Hermann Rauber

Bild: Sammlung Stadtmuseum Aarau

So dezimierte die Pest im 16. und 17. Jahrhundert die Bevölkerung teilweise bis zur Hälfte. Anno 1854 geriet die Kantonshauptstadt mit einer lokal begrenzten Cholera-Epidemie negativ in die Schlagzeilen, verbunden mit der Drohung des Regierungsrates, den Sitz des Aargaus nach Brugg zu verlegen. Nicht verschont blieb Aarau schliesslich 1918 von der «Spanischen Grippe», die am Ende des Ersten Weltkriegs für drastische Einschränkungen des öffentlichen Lebens führte.

Seit dem 16. Jahrhundert war Aarau wiederholt von Pestepidemien betroffen. So etwa im Jahr 1549, vor allem aber anno 1564, das zu einer Katastrophe führte, berichtet doch Stadtschreiber Samuel Meyer in jenem Jahr im Ratsprotokoll von 600 Toten. Und die gefürchtete Seuche, gegen die es kein Mittel gab und die sich vor allem in den dicht besiedelten Städten ausbreiten konnte, liess auch im 17. Jahrhundert noch nicht nach. Aarau verzeichnete 1630 nicht weniger als 700 Opfer, die von der Pest hinweggerafft wurden. Diese Zahl entsprach ungefähr der Hälfte der gesamten Einwohnerschaft. Diese furchtbaren Menschenverluste machte die Stadt empfänglicher für den Zuzug von Neubürgern, mit denen man die schmerzlichen Lücken wieder halbwegs schliessen konnte. So hatte die Seuche letztlich auch ihr Gutes.

Die Katastrophe von 1854


Im 18. Jahrhundert war es dann vor allem die Ruhr, die auch in Aarau gelegentlich epidemisch auftrat, wobei in der Stadt im Jahre 1765 noch 126 Personen dieser Darmkrankheit erlagen. Eine Untergattung, die so genannte Brechruhr, sorgte unter dem Begriff Cholera in Aarau 1854 für Aufregung. Denn hier häuften sich die Fälle ab August dramatisch. 81 Stadtbewohner fielen innerhalb von wenigen Wochen der Cholera zum Opfer, unter ihnen auch zwei Stadträte. Bald fanden Experten heraus, dass die Seuche ihren Ursprung in verunreinigtem Wasser hatte. Damit geriet der Stadtbach als hauptsächliche Versorgungsquelle in den Fokus der Behörden. Nun schritt auch der Aargauer Regierungsrat ein, kritisierte die miserable Aarauer Trinkwassersituation heftig und verlangte innert zwei Wochen einen Bericht, wie den nachgewiesenen Übelständen abgeholfen werden kann. Verbunden mit der Drohung, «andernfalls die kantonalen Anstalten nach Brugg zu verlegen» und damit die stolze Kantonshauptstadt quasi zu entmündigen. Das Ultimatum wirkte, es dauerte aber noch sechs Jahre, bis die neue Quellfassung in der Suhrenmatte und der 732 Meter lange Gönhardstollen betriebsbereit waren und endlich für sauberes Wasser in der Stadt sorgten.

Harte Massnahmen 1918


Noch war der Erste Weltkrieg mit all den Nöten und Entbehrungen nicht ganz vorbei, da traf ein weiterer Schicksalsschlag das Land. Vom Juli bis Dezember 1918 raffte die «Spanische Grippe» in zwei aufeinanderfolgenden Wellen im durch militärische Einquartierungen überfüllten Aarestädtchen gut ein Prozent der Bevölkerung weg. Allein in Aarau registrierte man über 2000 Infektionen. Alle Veranstaltungen wurden sofort abgesagt und die Schulen bis Ende Jahr geschlossen. Leider konnte die Epidemie damit nur kurzfristig gemildert werden, der zweite Schub erreichte die Schweiz anfangs Oktober 1918. Nun sah sich der Aargauer Regierungsrat gezwungen, im Rahmen einer Verordnung Massnahmen zur «Bekämpfung der Influenza» zu beschliessen. So wurden «bis auf weiteres» Tanzanlässe, Konzerte, Theateraufführungen und übrige Versammlungen, ja selbst Gottesdienste verboten. Infizierte mussten sich «bis acht Tage nach der Entfieberung vom Verkehr mit anderen Personen möglichst fernhalten und insbesondere Arbeitsräume meiden». Für Spitäler und andere Anstalten galt ein generelles Besuchsverbot, die Gemeinderäte wurden verpflichtet, «Vorbereitungen zur Einrichtung von Notspitälern zu treffen», hiess es weiter. Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung würden mit Geldbussen bis zu 5000 Franken oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Von einer Schliessung der Läden oder Wirtschaften war hingegen nicht die Rede.

Insgesamt forderte die «Spanische Grippe» allein im Aargau rund 750 Tote. 1919 flachte die Zahl der Krankheitsmeldungen deutlich ab, allerdings flackerte die Seuche anfangs 1920 noch einmal auf, verlief aber deutlich harmloser und erlosch anschliessend. Ein wirtschaftliches Hilfsprogramm gab es damals nicht. Ein Kinobesitzer aus Aarau verlangte vom Staat zwar die Vergütung des materiellen Schadens, der sich auf mehrere tausend Franken belief, doch die Regierung beschloss, auf diese Forderung nicht einzutreten.
Titelbild: Festakt bei der Enthüllung des Soldatendenkmals zum Gedenken an die Toten des 1. Weltkrieges und der Grippeepidemie, 1919.