Gastkommentar

Schallende Ohrfeige

Der Stadtrat lernt nichts. Er will die Altstadt asphaltieren. Ein Gutachten führt ihn vor.

Von Stephan Müller

 

Wer erinnert sich noch? Der Stadtrat wollte in den Nullerjahren den Aarauer Altstadtkern asphaltieren. In der Volksabstimmung kämpften wir dagegen und gewannen. Darauf reichten wir eine Volksinitiative ein, welche für einen offenen Stadtbach und eine busfreie Altstadt eintrat. Erst unter diesem Druck wurde dann ein neues Projekt aufgegleist und in der Volksabstimmung angenommen. Die Gassen wurden nun mit Pflastersteinen versehen und der Stadtbach wurde geöffnet (und dafür die Bushaltestellen und -kanten in der Rathaus- und Metzgergasse gestrichen). Alle haben heute ihre Freude an der schönen und attraktiven Gestaltung der Altstadt.

Hat der Stadtrat etwas aus dem Scheitern der ersten Vorlage gelernt? Leider nein. Er schlug vor einiger Zeit dem Einwohnerrat vor, die Vordere Vorstadt, ebenfalls zur Altstadt gehörend, neu zu asphaltieren. Der Einwohnerrat folgte dem Stadtrat. Das Projekt liegt nun im Baugesuchsverfahren.

Ein mutiger Anwohner, Patrick Huber vom Geschäft Münzen Huber, wehrt sich vor dem Regierungsrat gegen dieses Baugesuch. Er verlangte, dass ein Gutachten der eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) oder der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) abkläre, ob dieser Teil der Altstadt überhaupt asphaltiert werden dürfe. Der Rechtsdienst des Regierungsrates ging darauf ein und beantragte ein Gutachten. Dieses von ENHK und EKD gemeinsam erstellte Gutachten liegt nun vor. Es ist eine schallende Ohrfeige an den Stadtrat.

Die Vordere Vorstadt ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz mit höchstem Erhaltungsziel A aufgeführt. Die Strasse ist gemäss ENHK und EKD ein «historischer Verkehrsweg von nationaler Bedeutung». Das elfseitige Gutachten geht detailliert auf die Bedeutung der Strasse im Gesamtkontex der Altstadt ein. Und das Fazit könnte klarer nicht sein. Ich zitiere den letzten Satz des Gutachtens: «Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und des Augenscheins einer Delegation der beiden Kommissionen kommen ENHK und EKD zum Schluss, dass das vorliegende Sanierungsprojekt mit den Schutzzielen nicht vereinbar ist und als schwerwiegende Beeinträchtigung des Denkmals ‹mittelalterliche Stadtanlage› und des Ortbildes von nationaler Bedeutung einzustufen ist.» Ein paar Sätze früher wird festgestellt: «Die ENHK und die EKD monieren, dass das vorliegende Projekt, das ausschliesslich Asphaltflächen vorsieht, vom Verkehrsregime und von auf die Verkehrsträger optimierte Vorgaben sowie von finanziellen Überlegungen bestimmt ist und die Anforderungen des Denkmal- und Ortsbildschutzes zu wenig berücksichtigt.»

Wird die Vordere Vorstadt asphaltiert? «Asphaltidylle» gemäss Patrick Huber.

Da liegt wohl des Pudels Kern: Asphaltieren ist billiger als Pflasterstein. Man spart auf Kosten der Altstadt von nationaler Bedeutung. Es ist ein Armutszeugnis des Stadtrates und der reichen Stadt, wie sie sich an der Altstadtgasse «verbrechen» wollen. Dazu kommt, dass aus ökologischen Gründen und wegen des Klimawandels die Altstadt eine Hitzeinsel ist. Der stark erhitzbare Asphalt würde die Vordere Vorstadt zusätzlich aufheizen. Neben historischen und ästhetischen Gründen machte es auch aus diesem Grund Sinn, an der Vorderen Vorstadt zusätzlich den Stadtbach zu öffnen. Er kann aus topografischen Gründen wie am Zollrain und in der Pelzgasse natürlich fliessen, ohne jedoch die tiefen Furchen wie dort aufzuweisen. Eine Lösung sähe der Rathausgasse ähnlich, aber ohne dass das Wasser wie dort an die Oberfläche gepumpt werden muss. Je nachdem könnte auch nur ein Teil des Stadtbaches oberirdisch fliessen, der Rest unterirdisch. Eine (Teil-) Öffnung des Stadtbaches ergibt zudem einen besseren Hochwasserschutz. Der Einwohnerrat hatte 2018 einen Antrag auf Öffnung des Stadtbaches in der Vorderen Vorstadt äusserst knapp mit 25:24 abgelehnt. Auf Grund der neuen Informationen von ENHK und EKD wäre es mehr als sinnvoll, jetzt auf diese Frage zurückzukommen.

Der Stadtrat sollte sein ortsbildverletzendes Projekt nun abbrechen und es neu konzipieren, mit Pflastersteinen und offenem Stadtbach. Hat er das vor? Gemäss einer gut informierten Quelle will er stur bleiben und vor dem Regierungsrat weiterhin die verfehlte Asphaltierung unserer Altstadt verfechten. Das passt in das Bild des Stadtrates, der entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Einwohnerrates auch für die Kürzung der Löhne der AltersheimmitarbeiterInnen bis vor Bundesgericht ging, nur um dort mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Rechthaberei statt Einsicht.

Es liegt nun an den Einwohnerräten, ein dringliches Postulat für die nächste Einwohnerratssitzung vom 29. März einzureichen und dieses zu überweisen: Ein Postulat, das fordert, dass der Stadtrat das verfehlte Bauprojekt zurückzieht und die Vordere Vorstadt neu mit Pflastersteinen und offenem Stadtbach plant. Ein Rückzug erspart uns auch weitere unnötigen juristischen Kosten.

Unserer schönen Altstadt sollte es wert sein.