Gastkommentar

Ohne Titel

Zu was komme ich, wenn ich ohne Absicht schreibe?

Von Stephan Müller

 

 

 

Meistens weiss man bei einer Kolumne am Anfang, über was man schreiben will. Was man aussagen will, was das Ziel der Kolumne sein soll. Für einmal kehre ich diesen Vorgang um. Ich beginne zu schreiben, und weiss nicht, was das Ziel der Kolumne sein soll. Sondern ich will es während des Schreibens der Kolumne selber herausfinden. Ich weiss nicht einmal das Thema, über das ich schreibe. Ich weiss nur, dass ich den Vorgang umkehren will.

Es gibt soviel Absichtsvolles, das uns begegnet, dass dies einem zu viel werden kann. Die Werbe- oder Marketingsprache sagt uns, wieso wir was kaufen sollen. Politische Parteien sagen uns, wieso wir wen wählen oder was abstimmen sollen. Auch viele Zeitungsartikel wollen uns sagen, wie etwas ist oder sein soll, was wichtig sei und was nicht. Absichtsvoll, durchaus mit guten Absichten. Aber eben auch: Spürbar hinter allem ist eine Absicht, ein Ziel. Das Wissen, dass man es schon weiss. Dass man dies weitervermitteln will, damit es die anderen auch wissen, damit sie gleich denken und gleich empfinden.

Deswegen ist aber auch vieles langweilig, erwartbar, absehbar. Nicht überraschend. Und vieles bleibt an der Oberfläche, weil es auch nur eine Oberfläche behandelt oder behandeln will. Tieferes muss zuerst herausgefunden werden, in der Welt, bei einem selbst. Vielfach muss danach gesucht werden. In dieser Kolumne suche ich danach. Ich weiss es also nicht.

Was beschäftigt mich eigentlich? Das ist eben nicht einfach so klar und offensichtlich. Auch das muss manchmal zuerst herausgefunden werden. Was liegt allenfalls sogar verschüttet herum, ohne dass es an die Oberfläche des Bewusstseins gespült wird? Wiederum: Bei einem selbst, aber auch in der Gesellschaft.

Natürlich kommen einem Stichworte von Zusammenhängen in den Sinn, die einem beschäftigen oder beschäftigen können: Ukraine, Palästina, das Wetter, Aarau. Und es laufen in Einem Filme ab, mit Bildern, Argumenten, Überzeugungen, Hoffnungen, Emotionen. In diesen Themen, zu diesen Ereignissen. Und man könnte dazu – absichtsvoll – schreiben und argumentieren. Ganz nach dem Motto: Was möchte ich sagen? Was ist das Ziel? Wie will ich es sagen, wie ist der Weg dazu?

In Millionen von Fällen kann diese Vorgehensweise richtig sein, Sinn machen. Aber mir scheint, diese Vorgehensweisen kommen in unserer Welt zu häufig vor, viel zu häufig. Sie dominieren zu stark unser Denken, unsere Jobs, unsere Sprache. Wir machen das so und so, um das und jenes zu erreichen. Wir setzen uns diese oder andere Ziele, um danach Wege dorthin zu definieren. Vieles ist mit klaren Absichten unterwegs.

Wie entstehen Neuerungen? Eine neue Kunstrichtung? Neues Denken? Ein Paradigmenwechsel? Ich denke, meist nicht auf diese Weise, dass ein Ziel gesetzt und dann umgesetzt wird. Eher so, dass etwas Latentes im Untergrund vibriert und überraschend dann an der Oberfläche oder im Bewusstsein auftaucht. Man es plötzlich wahrnimmt, es findet.

Wenn ich optimistisch bin, dann meine ich zu verspüren, dass wir – momentan – durchaus in einer Zeit leben, wo etwas Neues passieren kann. Etwas Neues passieren wird. Aufkommen wird. Schlicht darum: Weil das Alte sich auf eine Art und Weise totläuft, dass es das nicht gewesen sein kann. Wie und wo zuerst?

Ich weiss es natürlich nicht. Aber ich meine Hinweise zu sehen: Es wird Gegenbewegungen geben müssen zu den immer gleichen Diskussionen und Inhalten, die weitgehend die öffentliche Wahrnehmung dominieren: Geprägt durch sogenannte «social media», die meist erbärmlich asoziale Medien sind. Aber auch Kriege wie in der Ukraine oder in Israel/Palästina, die amerikanischen Präsidentschaftswahlen mit den gleichen, einfach vier Jahre älteren Kandidaten, aber auch die Aar(g)auer Politik mit den gleichen Leuten, Themen und Aufgeregtheiten, wie sie schon lange gleichartig vorherrschend sind, müssten neuen Themen und Leuten weichen können und müssen, unausweichlich.

Wie gesagt und gedacht, planen lässt sich das schlecht. Doch auch der Mauerbruch zu Berlin war nicht geplant, in einem Ziel mit einem bestimmten Weg dazu festgeschrieben, sondern passierte «einfach», ereignete sich, alle rieben sich überrascht die Augen. Der Mauerbruch und das, was mit ihm zusammenhing, veränderte – nicht nur, aber vor allem – Europa grundlegend.

Ich meine zu sehen, und in gewissem Masse hoffe ich auch darauf, dass solche «Neuentdeckungen» in der Luft zu liegen scheinen, ob in der Kunst, in der Politik oder auch in der Medienwelt.

Nun habe ich also durch diese Kolumne doch etwas herausgefunden, ich vorher nicht bewusst wusste. So kann ich nun, hier angelangt, mir überlegen, welchen Titel diese Kolumne haben sollte. (Ich begann ja ohne Titel, Thema oder Titelgedanke diese Kolumne zu schreiben.) Wie lassen sich die vorgängigen Gedanken zusammenfassen?

Mit dem Titel «Ohne Titel!»?