Stadtkinder

Unsere Kinder sind die Eltern von Morgen

Neulich wurden mir auf Instagram «Zehn harte Elternfakten» präsentiert. Interessiert las und wischte ich alle durch.

Von Sara Müller-Bresciani

Bild: Pixabay

Die meisten brachten mich zum Schmunzeln oder gar zum Lachen. Darunter war auch etwas, dass mir, seit ich selbst Mami bin, immer und immer wieder auffällt und auf das ich in den nächsten Zeilen näher eingehen möchte:

«Die meisten Paare gehen als modernes Paar in den Kreissaal und kommen als 60er-Jahre-Paar wieder heraus.» Post auf Instagram von artgerecht.

Wir verlieben uns, teilen unser Leben, unseren Alltag und den Haushalt, wollen mehr, lassen uns vom Nesttrieb leiten, werden werdende Eltern, besprechen vielleicht wer nach der Geburt wieviel arbeitet, wie die Kinderbetreuung aussehen soll und der Rest regelt sich von alleine. Wir malen uns eine rosige Zukunft aus, bei der wir stets entspannte Eltern sind, die mit den Kindern immer geduldig umgehen und ihnen auf Augenhöhe begegnen, über Gott und die Welt reden und sie auf ihrem Weg zu verantwortungsvollen Erwachsenen bestmöglich begleiten möchten. Wir werden gelassene Eltern, die täglich saisonal und gesund kochen, wir sehen uns vor dem geistigen Auge bereits eine wunderbare, wertschätzende, coole und lockere Familienzeit leben. Das Bild, das wir uns ausmalen, hat Werbecharakter. Dabei können wir zum Glück noch gar nicht wissen, was alles (noch) auf uns zukommt und dass Zeit zum wohl kostbarsten und gleichzeitig rarsten Gut wird, über das Eltern verfügen.

Spätestens wenn die Kinder in der Kita sind oder eingeschult werden, kommen noch zig weitere Aufgaben auf uns zu, an die meist niemand vorher gedacht hat. Es sind viele kleinere Aufgaben, die in Summa jedoch nicht zu vernachlässigen sind. Wer denkt an die frische Kleidung für die Kita? Wer setzt die Bastelaufgabe für das Kitafest um? Wer hilft mit bei der Organisation des Abschiedsgeschenkes für Herrn Meyer? Wer backt den Kuchen für den Elternapéro? Wer fährt die Kids zum Fussball? Wer überlegt sich Gerichte für den Mittagstisch? Wer kauft den Lunch für die Schulreise ein? Wer kocht in 20 Minuten ein gesundes und ausgewogenes Menü? Wer vereinbart Termine beim Zahnarzt? Wer begleitet die Kinder zum Arzt? Wer kauft die Geburtstagsgeschenke ein? Wer organisiert die Kindergeburtstagsfeier? Wer bastelt Geschenke für Gotti und Co.? Wer richtet das Zuhause ein? Wer betreut kranke Kinder? Wer putzt? Wer bügelt? Wer mäht den Rasen? Wer jätet Unkraut? Wer bringt den Müll raus? Wer bringt das Altglas weg? Wer plant die Ferien? Wer packt die Koffer? Wer veranlasst die Bezahlung der Rechnungen? Wer bringt den Garten in Ordnung? Wer füllt die Steuererklärung aus? Wer stellt den Pool auf? Die Liste ist endlos und der Mental Load wird zum Killer jeder entspannten Familie.

Damit der Familienalltag möglichst reibungslos funktioniert, kommt man nicht darum herum, eine gewisse Planung und Struktur anzuwenden. Und gerade der Mutterschaftsurlaub schleift nicht selten Gewohnheiten ein, denn die Mamis sind oft einige Monate alleine und kümmern sich um ihre Sprösslinge, während sich der berufliche Alltag der Väter oft kaum verändert. Über diese Zeit schleichen sich Verhaltensmuster ein, Aufgaben und Rollen werden bewusst oder unbewusst verteilt und gelebt. Nicht selten genauso, wie wir es von unseren Eltern oder Grosseltern gewohnt sind. Denn wenn man diese fragt, wer wohl in der Familie wofür zuständig sein sollte, wird vermutlich die Mehrheit genau die Rollenverteilung der 60er Jahre beschreiben.

Wie war es denn als Paar in den 60er Jahren?


Wenn man Google fragt, verhärtet sich der erste Verdacht rasch. Der Haushalt und die Erziehung der Kinder waren Aufgaben der Frau, wobei es damals sehr zeitintensiv war, den Haushalt zu führen, da für Vieles die modernen Hilfsmittel noch nicht erfunden worden waren. Zudem musste man dazumal aus Spargründen unter anderem auch noch Socken stopfen und Kleidung abändern, was die durchschnittliche Familie in Aarau heute nicht mehr machen muss, da sie wirtschaftlich bessergestellt ist.

Der technische Fortschritt hat es den Frauen zwar ermöglicht, die Hausarbeiten speditiver zu erledigen und damit neben dem Führen des Haushaltes und der Erziehung der Kinder auch einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Dies führt allerdings zu einer zusätzlichen Tätigkeit, zusätzlicher Verantwortung und nicht zwingend zu einer Verlagerung der Haushaltsarbeit oder der Erziehungsaufgaben. Nicht nur die Rolle der Frau verändert sich, auch die der Väter ist im steten Wandel. Im 18. Jahrhundert galten die Väter noch als Autoritätsperson, später sprach man ihnen eine Beschützerrolle zu. Der Vater wurde als Ernährer und Vorbild gefeiert, der aber damals sicher noch keine Windel wechselte, was vermutlich die meisten unserer Grossväter oder gar Väter auch nicht taten.

Und wie ist es heute?


Der technische Fortschritt lässt uns immer wieder staunen und zeitgleich kämpfen wir immer noch für Gleichberechtigung. Vermutlich sind wir uns einig, trotzdem, dass die Frauen für Gleichberechtigung, Wertschätzung von Care-Arbeit, flexible Arbeitsmodelle für alle Geschlechter und eine gemeinsame angemessene Elternzeit auch in Aarau noch auf die Strasse müssen, sind sie kaum von der Arbeitswelt wegzudenken. Oftmals leben Sie mehrfache Rollen, sind berufstätig, Mamis und mindestens Teilzeit Hausfrauen. Wie sieht’s mit den Männern aus? Sie sind meist in erster Linie berufstätig und sind nicht selten auch Väter und vielleicht Teilzeit Hausmänner – sicherlich gibt es auch einige, welche Windeln wechseln. Dennoch fühlt es sich immer noch oft so an, als wären das Aufgaben, die den Mamis vorbehalten sind. In unserer Gesellschaft fällt das Bild eines sauberen oder eben unordentlichen Zuhauses meist auf die Frau zurück. Wieso eigentlich? Wird den Mädchen das «ich-kümmere-mich-liebend-gern-um-Kind-und-Haus-Gen» in die Wiege gelegt? Kann es denn nicht auch sein, dass Mamis lieber den Müll rausbringen und mit den Kindern spielen anstatt zu bügeln und zu kochen? Väter können genauso gut und wahrscheinlich manchmal sogar besser: einrichten, putzen, Ordnung halten – ja einige bügeln, betreuen Kinder und manche haben fixe «Papitage» (was für ein Unwort!). Wofür sie gelobt und gefeiert werden. Mamis, die arbeitstätig sind, werden nicht selten als egoistisch bezeichnet. Wieso will man überhaupt Kinder, wenn man lieber auswärts arbeitet? Um Kinder zu zeugen braucht es beide, wieso sollte es nicht beide brauchen, um ein Zuhause zu leben, in dem Kinder zu verantwortungsbewussten Erwachsenen begleitet werden, für die es selbstverständlich ist, sich die Aufgaben zu teilen? Wir sind Vorbilder und unsere Kinder sind die Eltern von Morgen.