Zeitreise

Vom Biergarten zu den Strassencafés

Mit dem Frühlingserwachen feiern auch die Aarauer Gartenwirtschaften und Strassencafés fröhliche Urständ. Während der «Piazza-Effekt» heute eine Selbstverständlichkeit ist, schwitzten die Durstigen vor Jahrzehnten bei drückender Sommerhitze noch in der aufgeheizten Gaststube, vor allem im Bereich der Innen- und der Altstadt. Tische und Stühle unter freiem Himmel gab es damals vor allem an der «Riviera» im Schachen.

Von Hermann Rauber

Bild: Sammlung Stadtmuseum Aarau

Im 19. Jahrhundert zählte Aarau noch mehr als zehn Brauereien. Einige von ihnen verfügten über einen lauschigen Biergarten, so etwa das Wirtshaus zum Weinberg nördlich der Aare. Dieser existiert noch heute, während der mächtige Bau des Gasthofs zum Ochsen (Bild) an der Ecke Laurenzentorgasse/Schlossplatz längst  verschwunden ist. Hier genossen Einheimische und Hotelgäste im kühlen Innenhof Speis und Trank, umgeben von einem Treppenturm und Galerien aus Holz. Der «Biergarten» bot einen prächtigen Blick auf heraldische Malereien und war eindrückliche Kulisse für so manchen bewegten Abendschoppen. Der «Ochsen» musste samt Gartenwirtschaft 1928 einem Warenhaus weichen, seit einem Jahr lässt sich aber an dieser historischen Stätte wieder im Freien einkehren, im «OscarOne».

Heisse Gnagi im Garten der «Gais»


Ein nach oben offener Innenhof existierte auch im alten  «Affenkasten» zwischen der Hinteren und Vorderen Vorstadt. In den 1930er Jahren allerdings wurde die Gartenwirtschaft überdacht, weil sich die Gäste häufig durch einen plötzlichen Platzregen gestört fühlten.  Länger in Betrieb war das Restaurant Gais mit seinem romantischen Garten, in dem jeweils am Montagabend heisse Gnagi serviert wurden. Über eine Pergola verfügte auch das längst verschwundene Restaurant Lindenhof im Bereich des Bahnhofs, rustikale Gartenwirtschaften gab es auch beim  «Buchenhof» und beim «Schützengarten» (heute «Schützen») am Ende der Schachenallee. Wer den Weg nicht scheute, konnte schliesslich im «Binzenhof» im Luegisland nicht nur unter freiem Himmel zechen, sondern auch noch kegeln.

«Riviera» als Openair-Urzelle


Eine der Openair-Urzellen von Aarau befand sich im vorderen Schachen. Hier lagen nebeneinander drei Wirtshäuser, die «Eintracht», das «Mürset» und das «Suter», das später vom Volksmund in «Chalte Fuess» umbenannt wurde. Hier nutzte man die Gunst der Topografie und wirtete im Sommer im Garten. In der «Eintracht» hielt mit der Wirtefamilie Vaccani ein Stück «italianità» in Aarau Einzug. Der Betrieb ging von Vater Cesare Vaccani-Longoni an seine Töchter Natalia und Irma über. Besonders das «Nati», wie die Seele des Betriebs (zu dem im hinteren Garten auch eine Bocciabahn zählte) gerufen wurde, aber auch das «Rösi» (Rosa Egger-Mürset) im benachbarten «Mürset» prägten als tüchtige Wirtinnen das Geschehen. Diese Beizenmeile im Schachen erhielt bald einmal treffend die Bezeichnung «Riviera». Hier spielte sich in der warmen Jahreszeit das gesellschaftliche Leben der Kantonshauptstadt ab, «tout Aarau» liess sich am Feierabend und an den Wochenenden unter duftenden Lindenbäumen nieder, ganz nach dem Motto «sehen und gesehen werden».

Die heutige Partymeile in der Altstadt


Die «Riviera» hatte damals mindestens im Sommer und bei schönem Wetter keine Konkurrenz zu befürchten, weil die gastlichen Häuser in der «oberen Stadt» aus baulichen und verkehrstechnischen Gründen keine Plätze im Freien anbieten konnten, mit Ausnahme der kleinen Terrasse des Restaurants Speck am Zollrain. Zwar gab es zaghafte Versuche von Wirten in den Altstadtgassen, Tische und Stühle auf das Trottoir zu stellen, doch scheiterten diese an der Auflage der städtischen Ordnungshüter, dass «auf dem Gehsteig genügend Platz bleiben muss, damit sich zwei Kinderwagen kreuzen können» (Originalzitat Stadtpolizei).

Die Openair-Blockade fiel erst mit der Verkehrsberuhigung der Aarauer Altstadt vor genau zehn Jahren und mit der anschliessenden Neugestaltung der Gassen anno 2011. Nun schossen neue Strassencafés und Aussenbereiche bestehender Betriebe wie Pilze aus dem Boden. Das historische Zentrum ist zur Freilicht-Partymeile mutiert und hat damit endgültig den vorderen Schachen abgelöst, der allerdings auch heute noch gerne frequentiert wird.
Bild: Innehhof des Gasthof Ochsen um 1880.