Zeitreise

Die baulichen Akzente von Emil Wessner prägen Aarau immer noch

Die meisten Namen der vielen Architektinnen und Architekten, die das Erscheinungsbild Aaraus in den vergangenen Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten geprägt haben, sind wohl nur Fachleuten geläufig. In diesem Artikel soll ein Mann in Erinnerung gerufen werden, der als einer der Pioniere der modernen Architektur in Aarau gelten darf: Emil Wessner.

Von Raoul Richner

 

 

Der in der Ostschweiz aufgewachsene Emil Wessner (1886-1976) studierte in Burgdorf am Technikum und an der technischen Hochschule von Stuttgart Architektur. Nach Wanderjahren und Tätigkeit in verschiedenen Architekturbüros in der Schweiz und in Italien liess er sich 1920 in Aarau nieder. Möglicherweise hängt sein Entschluss, sich im Aargau niederzulassen, damit zusammen, dass seine Frau aus Lenzburg stammte.



In Aarau betrieb Emil Wessner ein eigenes Architekturbüro – zuerst zwischen 1920 und 1922 gemeinsam mit Otto Tschumper und anschliessend bis 1924 mit Ernst Labhart, dann allein. 1934 gründete er zudem die Immobiliengesellschaft Liebeggerhof AG mit dem Ziel, Bauland zu erwerben und selbst Wohnhäuser zu bauen, zu verwalten und weiterzuverkaufen.

Er lebte und arbeitete an der Hohlgasse 45, in einem natürlich von ihm selbst entworfenen Haus, das er bis zu seinem Tod 1976 bewohnte. Just dieses Haus existiert nicht mehr, es wurde 1985 abgebrochen.

Wessners Palette an Gebäudetypen war breit: Er plante Ein- und Mehrfamilienhäuser, Villen, Fabriken, Geschäftshäuser, aber auch öffentliche Bauten wie Schulhäuser oder Kindergärten oder sogar ganze Siedlungen. Wenn man sein Werk über die Jahrzehnte ihrer Entstehung verfolgt, dann lässt sich eine Entwicklung vom Heimatstil mit klassizistischen Elementen zum «Neuen Bauen» abzulesen. Diese Erneuerung in der Architektur setzte bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein; man war darauf erpicht, mit neuen Werkstoffen neue, rationale und schnörkellose Formen zu schaffen.

Schauen wir uns das an konkreten Aarauer Beispielen an!

Mit Otto Tschumper erarbeitete Wessner für die Wohnbaugenossenschaft eine Siedlung im Zelgli, die von Rütliweg, Stapferstrasse und Pestalozzistrasse umrahmt wird. Diese beachtenswerte Wohnkolonie weist acht zweigeschossige Zwei- und Dreifamilienhäuser mit Vorgarten und rückwärtigem Garten auf, die eine lockere, grüne Siedlung bilden. Sie lassen sich noch dem Heimatstil zuschreiben. Der vielleicht berühmteste Bewohner eines solchen Hauses war übrigens Felix Hoffmann.

Wessners Wohnsiedlung in der Oberen Telli zwischen Aumattweg und Sengelbachweg orientierte sich dann bereits im Ideal der Gartenstadt. Eine ausführliche Beschreibung dieses Ensembles, das ab 1928 etwas abweichend von Wessners ursprünglichem Plan gebaut wurde, findet sich in den Aarauer Neujahrsblättern 2022 aus der Feder von Leonie de Maddalena.



Weiter entwarf Wessner unter anderem für einen Bankdirektor die neoklassizistische Villa an der Zelglistrasse 39 (1925), das damals als «Frauenasyl» genutzte Gebäude an der Zelglistrasse 26 (1927) und den Kindergarten am Freihofweg (1934).

Die markantesten Akzente im Stil des «Neuen Bauens» konnte Wessner jedoch mit zwei 1931 errichteten Gebäuden setzten. Es handelt sich bei beiden um Wohn- und Geschäftshäuser, die allein aufgrund ihre exponierten Lage auffallen. Das eine steht in der Gabelung von Entfelderstrasse und Gönhardweg (siehe Titelbild). Mit seiner auffälligen Rundung und der abwechslungsreich gestalteten Fassade gibt es der Kreuzung einen urbanen Touch.

Das andere Gebäude ist das Eckhaus am Graben 31 zwischen Holzmarkt und Hinterer Vorstadt (Bar Waldmeier und Parfumerie Marionnaud). Es sorgte bei seiner Einweihung für einiges Aufsehen, war es doch der erste moderne Neubau innerhalb des Altstadt-Rayons. Auch hier arbeitete Wessner mit klaren Formen und runden Elementen.



Im Urteil der Kunsthistorikerin Dominique Sigg, die sich kürzlich mit Wessners Werk befasst hat, sind Wessners Bauten heute noch ortsbildprägende Beispiele einer moderaten Moderne. Dies sei dem Umstand zu verdanken, dass in einer Kleinstadt wie Aarau damals der Grossteil der neu erstellten Wohnhäuser nicht von Architekten, sondern vom erstellenden Baugeschäft geplant wurden, so dass er einige qualitätsvolle Akzente setzen konnte. Seine grösseren und vor allem öffentlichen Bauprojekte bewiesen sein Gespür dafür, die Moderne in Einklang mit dem traditionellen Baubestand einzuführen.