Es ist viel los zur Zeit in unserer Stadt; am Maienzug wird es Veränderungen geben, die Zukunft der Markthalle steht zur Diskussion, die Binzenhof–WSB-Haltestelle soll endlich umgebaut werden, auch die Bahnhofstrasse ist gerade mehr Baustelle als Strasse, aber im Frühjahr vor 225 Jahren, war in Aarau auch «ganz schön viel los». Das Jahr 1798 war für Aarau ein sehr Besonderes. Am 4. April wurde die Helvetische Republik ausgerufen. «Am 3. Mai 1798 bestätigten die helvetischen Räte Aarau als provisorische Hauptstadt» (AZ).
Nachdem sich das Direktorium in Aarau eingerichtet hatte, wurde schnell klar, dass Aarau aufgrund des Platzmangels als Bundesstadt nicht geeignet ist. Darauf folgte eine Abstimmung, in welcher sich Städte wie Zürich, Luzern, Bern und Solothurn zur Wahl gestellt hatten. Luzern gewann. Doch lange blieb auch Luzern nicht Bundesstadt und eine Verlegung nach Bern erfolgte bald. Erst ein halbes Jahrhundert später, geprägt durch Napoleon, eine Phase der Restauration und der Ausarbeitung der Bundesverfassung von 1848, wählte die Bundesversammlung Bern zum «Sitz der Bundesbehörden».
Wie wäre es, wenn Aarau Hauptstadt/Bundesstadt geblieben wäre? Es folgt ein (nicht ganz erstgemeintes) Gedankenspiel aus Sicht unserer Studienfächer; Jura und Internationale Beziehungen.
Gemäss Art. 58 RVOG (Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz) befindet sich der Amtssitz des Bundesrats, der Departemente und der Bundeskanzlei in der Stadt Bern. Die Konzentration von Institutionen der Regierung auf eine Stadt bedeutet, dass Anpassungen und entsprechende Investitionen in die Infrastruktur notwendig sind.
Die Durchführung von Bundesgesetzen beansprucht viele Arbeitskräfte, was wiederum viel Platz in Anspruch nimmt. Bundesstädte ziehen Touristinnen und Touristen an, was den Handel fördert und entsprechend die Wirtschaft ankurbelt.
Wie wir heute wissen, war Hauptgrund der Verlegung der Hauptstadt weg von Aarau, der mangelnde Platz . Als Bundesstadt muss nicht nur genügend Fläche für die Regierungsinstitutionen vorhanden sein, sondern auch für die Arbeitskräfte, welche beschäftigt werden. Ebenso Schlafplätze für Touristinnen und Touristen und die Politiker und Politikerinnen (zum Platzmangel und dem Übernamen «Bethlehem der Schweiz» den Aarau deswegen bekam siehe auch Aaraus «Revolution» von 1798, von Hermann Rauber).
Spinnen wir das Gedankenspiel weiter, wenn Aarau das politische Zentrum der Schweiz wäre …
Bevor die Diplomatinnen und Diplomaten sich auf den Weg in die Botschaftsviertel Zelgli und Gönhard begeben, könnten sie auf einem Aare-Spaziergang bereits erstes Networking betreiben. «Oh, what a nice river!», «oui, très joli!», «molto bello». Am Graben würden sich die Limousinen sammeln, während die antikapitalistischen Demos den Graben entlang laufen. Die Bundesräte gehen natürlich chic im Einstein oder der Kettenbrücke essen. Das Catering für den Apèro zwischen den Sitzungen käme vielleicht vom Lockentopf? Die Blumengestecke für das richtige Ambiente bei den Pressekonferenzen oder Staatsempfängen von buntbund oder von Arx. Zur Repräsentanz würden vielleicht mehr Investitionen getätigt werden, wäre es für Aarau ökonomisch gut?
Im Park am Bundeshaus (zur Zeit als Grossratsgebäude bekannt), würden sich etliche SRF- Reporterinnen und Reporter tummeln. Wahrscheinlich wäre auch die Polizei-Präsenz in der Stadt höher. Aarau wäre sicher öfter in den (internationalen) Medien. Würde man unwillkommene Staatsgäste unter der Erde, in den Meyerschen Stollen, empfangen?
In Bern gibt es den Park kleine Schanze, aber wir haben hier den Schanzrein. So viel neues Vokabular müssten die Politikerinnen und Politiker hier also gar nicht lernen (der Flussname ist ihnen ja ebenfalls bestens vertraut).
Von der optimalen Verkehrslage könnten alle ebenfalls gut profitieren. Basel, Bern, Zürich, aber auch Deutschland (wenn die Bilateralen neu verhandelt werden müssen) oder Italien und Frankreich sind schnell erreichbar.
Das Zentrum für Demokratie könnte seine Umfragen direkt vor Ort durchführen und die Nähe zu den Institutionen nutzen.
Der demokratische Wind weht noch heute in Aarau. Am 30. März finden im Kultur- und Kongresshaus die vom Zentrum für Demokratie Aarau organisierten Demokratietage 2023 statt. Sie sind dem Klimawandel gewidmet und am Abend gibt es eine öffentliche Podiumsdiskussion.
Wie wäre Inside Aarau, wenn Aarau Bundesstadt geblieben wäre?
Eigentlich sind wir ganz froh, dass Aarau nicht 24/7 im Scheinwerferlicht steht. Wäre Aarau Bundesstadt geblieben, würde unsere geliebte Stadt wohl ganz anders aussehen. Die Kantonsschule, welche wir besucht haben, wäre stattdessen Sitz einer Institution der Schweizer Regierung, vielleicht der Bundeskanzlei. Eines unserer Lieblings-Cafés, wäre vielleicht Teil der Cafeteria der Eidgenössischen Finanzverwaltung.
KantonsHAUPTSTADT ist doch auch genügend… Aaraus Infrastruktur und Raumplanung würde wohl massgebend anders aussehen, als es heute der Fall ist. Unser Stadtplan hätte zwar einige beeindruckende repräsentative Behörden-Sitze als Sightseeing-Punkte & doch wäre unser Städtli wohl zu einer Grossstadt geworden und hätte einen anderen Charme.
Nichtsdestotrotz berichten wir allen Aarau-Besuchenden, wenn wir vor dem Forum am Schlossplatz stehen, «Das war das erste Bundeshaus der Schweiz.» Wenn wir dann die ungläubigen Blicke sehen, sagen wir, «Ja, Aarau war einst Hauptstadt der Schweiz.» Denn darauf sind wir schon «es bitzli stolz». (Dass sie es nur für einige Monate war, sagen wir dann eher so als Zusatz, etwas leiser).
Wir verabschieden uns mit einem Zitat von Raoul Richner, welches aus der AZ vom 10. Mai 2018 stammt:
«Was blieb Aarau darüber hinaus vom überstürzten Demokratie-Experiment? Der offene Geist! Aarau strahlte weiter bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts namentlich dank der Schriftsteller Zschokke und Troxler als liberales Zentrum in die Schweiz aus. Ein langlebiges Relikt ist auch der in der Helvetik entstandene und in der Mediationszeit noch vergrösserte Kanton Aargau – dessen Hauptstadt Aarau immerhin bis heute (und meistens unangefochten) bleiben konnte.»
Infos für die historischen Daten und Zitate stammen von www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/als-aarau-vor-220-jahren-hauptstadt-der-schweiz-wurde-ld.1502996
Nachdem sich das Direktorium in Aarau eingerichtet hatte, wurde schnell klar, dass Aarau aufgrund des Platzmangels als Bundesstadt nicht geeignet ist. Darauf folgte eine Abstimmung, in welcher sich Städte wie Zürich, Luzern, Bern und Solothurn zur Wahl gestellt hatten. Luzern gewann. Doch lange blieb auch Luzern nicht Bundesstadt und eine Verlegung nach Bern erfolgte bald. Erst ein halbes Jahrhundert später, geprägt durch Napoleon, eine Phase der Restauration und der Ausarbeitung der Bundesverfassung von 1848, wählte die Bundesversammlung Bern zum «Sitz der Bundesbehörden».
Wie wäre es, wenn Aarau Hauptstadt/Bundesstadt geblieben wäre? Es folgt ein (nicht ganz erstgemeintes) Gedankenspiel aus Sicht unserer Studienfächer; Jura und Internationale Beziehungen.
Gemäss Art. 58 RVOG (Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz) befindet sich der Amtssitz des Bundesrats, der Departemente und der Bundeskanzlei in der Stadt Bern. Die Konzentration von Institutionen der Regierung auf eine Stadt bedeutet, dass Anpassungen und entsprechende Investitionen in die Infrastruktur notwendig sind.
Die Durchführung von Bundesgesetzen beansprucht viele Arbeitskräfte, was wiederum viel Platz in Anspruch nimmt. Bundesstädte ziehen Touristinnen und Touristen an, was den Handel fördert und entsprechend die Wirtschaft ankurbelt.
Wie wir heute wissen, war Hauptgrund der Verlegung der Hauptstadt weg von Aarau, der mangelnde Platz . Als Bundesstadt muss nicht nur genügend Fläche für die Regierungsinstitutionen vorhanden sein, sondern auch für die Arbeitskräfte, welche beschäftigt werden. Ebenso Schlafplätze für Touristinnen und Touristen und die Politiker und Politikerinnen (zum Platzmangel und dem Übernamen «Bethlehem der Schweiz» den Aarau deswegen bekam siehe auch Aaraus «Revolution» von 1798, von Hermann Rauber).
Spinnen wir das Gedankenspiel weiter, wenn Aarau das politische Zentrum der Schweiz wäre …
Bevor die Diplomatinnen und Diplomaten sich auf den Weg in die Botschaftsviertel Zelgli und Gönhard begeben, könnten sie auf einem Aare-Spaziergang bereits erstes Networking betreiben. «Oh, what a nice river!», «oui, très joli!», «molto bello». Am Graben würden sich die Limousinen sammeln, während die antikapitalistischen Demos den Graben entlang laufen. Die Bundesräte gehen natürlich chic im Einstein oder der Kettenbrücke essen. Das Catering für den Apèro zwischen den Sitzungen käme vielleicht vom Lockentopf? Die Blumengestecke für das richtige Ambiente bei den Pressekonferenzen oder Staatsempfängen von buntbund oder von Arx. Zur Repräsentanz würden vielleicht mehr Investitionen getätigt werden, wäre es für Aarau ökonomisch gut?
Im Park am Bundeshaus (zur Zeit als Grossratsgebäude bekannt), würden sich etliche SRF- Reporterinnen und Reporter tummeln. Wahrscheinlich wäre auch die Polizei-Präsenz in der Stadt höher. Aarau wäre sicher öfter in den (internationalen) Medien. Würde man unwillkommene Staatsgäste unter der Erde, in den Meyerschen Stollen, empfangen?
In Bern gibt es den Park kleine Schanze, aber wir haben hier den Schanzrein. So viel neues Vokabular müssten die Politikerinnen und Politiker hier also gar nicht lernen (der Flussname ist ihnen ja ebenfalls bestens vertraut).
Von der optimalen Verkehrslage könnten alle ebenfalls gut profitieren. Basel, Bern, Zürich, aber auch Deutschland (wenn die Bilateralen neu verhandelt werden müssen) oder Italien und Frankreich sind schnell erreichbar.
Das Zentrum für Demokratie könnte seine Umfragen direkt vor Ort durchführen und die Nähe zu den Institutionen nutzen.
Der demokratische Wind weht noch heute in Aarau. Am 30. März finden im Kultur- und Kongresshaus die vom Zentrum für Demokratie Aarau organisierten Demokratietage 2023 statt. Sie sind dem Klimawandel gewidmet und am Abend gibt es eine öffentliche Podiumsdiskussion.
Wie wäre Inside Aarau, wenn Aarau Bundesstadt geblieben wäre?
Eigentlich sind wir ganz froh, dass Aarau nicht 24/7 im Scheinwerferlicht steht. Wäre Aarau Bundesstadt geblieben, würde unsere geliebte Stadt wohl ganz anders aussehen. Die Kantonsschule, welche wir besucht haben, wäre stattdessen Sitz einer Institution der Schweizer Regierung, vielleicht der Bundeskanzlei. Eines unserer Lieblings-Cafés, wäre vielleicht Teil der Cafeteria der Eidgenössischen Finanzverwaltung.
KantonsHAUPTSTADT ist doch auch genügend… Aaraus Infrastruktur und Raumplanung würde wohl massgebend anders aussehen, als es heute der Fall ist. Unser Stadtplan hätte zwar einige beeindruckende repräsentative Behörden-Sitze als Sightseeing-Punkte & doch wäre unser Städtli wohl zu einer Grossstadt geworden und hätte einen anderen Charme.
Nichtsdestotrotz berichten wir allen Aarau-Besuchenden, wenn wir vor dem Forum am Schlossplatz stehen, «Das war das erste Bundeshaus der Schweiz.» Wenn wir dann die ungläubigen Blicke sehen, sagen wir, «Ja, Aarau war einst Hauptstadt der Schweiz.» Denn darauf sind wir schon «es bitzli stolz». (Dass sie es nur für einige Monate war, sagen wir dann eher so als Zusatz, etwas leiser).
Wir verabschieden uns mit einem Zitat von Raoul Richner, welches aus der AZ vom 10. Mai 2018 stammt:
«Was blieb Aarau darüber hinaus vom überstürzten Demokratie-Experiment? Der offene Geist! Aarau strahlte weiter bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts namentlich dank der Schriftsteller Zschokke und Troxler als liberales Zentrum in die Schweiz aus. Ein langlebiges Relikt ist auch der in der Helvetik entstandene und in der Mediationszeit noch vergrösserte Kanton Aargau – dessen Hauptstadt Aarau immerhin bis heute (und meistens unangefochten) bleiben konnte.»
Infos für die historischen Daten und Zitate stammen von www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/als-aarau-vor-220-jahren-hauptstadt-der-schweiz-wurde-ld.1502996
Über
Ausgewählte Aarauerinnen und Aarauer schreiben in der Rubrik «Gastkommentar» über ihre Sicht auf die Dinge und die Stadt.
Lydia Klotz und Eleonora Sartori sind zwei reisefreudige, musikbegeisterte und modeinteressierte Stundentinnen, die es lieben, Aarau immer wieder aufs Neue zu entdecken und Projekte (bspw. Postkarten) für und mit der Stadt zu realisieren.
Auf ihrem Aarau-Stadtplan und dem Instagram-Account @insideaarau geben sie Aarauempfehlungen und verraten Geheimtipps.