Gastkommentar

Halloween und Mitteldamm

Süsses oder Saures?

Von Stephan Müller

 

 

 

Es ist Halloween, als ich beginne diese Kolumne zu schreiben. Und morgen ist «Allerheiligen», wo man gemäss katholischem Glauben den Heiligen gedenkt. Gedenkt wird auch den Toten  übermorgen an «Allerseelen». Schon das keltische Samhain-Fest, das sich ebenfalls den Ahnen und Toten widmete, war jeweils am 1. November, es war eines der grossen vier Feste im keltischen Kalender. Am 1. Mai, genau ein halbes Jahr verschoben zum 1. November, wurde das keltische Fest Beltane begangen. Die Walburgisnacht ist die Nacht auf den 1. Mai. Dieser ist heute auch ein Feiertag, der «Tag der Arbeit». Dazwischen lag, drei Monate wiederum verschoben dazu, der 1. August, an welchem das keltische Lichtfest Lughnasadh stattfand. Heute ist der 1. August der Nationalfeiertag der Schweiz, an dem mit Höhenfeiern und Feuerwerk gefestet wird. Ist die Übereinstimmung von keltischen Feiertagen mit den Zeitpunkten von heutigen modernen Festen Zufall? Oder gibt es innere Zusammenhänge? Darüber kann diskutiert, studiert und nachgeforscht werden.

Immer am ersten Dienstag im November sind seit 1845 auch die amerikanischen Wahlen, ausser der Dienstag fällt auf einen 1. November: Dann sind die Wahlen am darauffolgenden Dienstag. Dieses Jahr sind die Wahlen am Dienstag, 5. November. Was sie uns bringen werden? Und hat das etwas mit Aarau zu tun? Die Aargauer Wahlen sind ja schon vorbei. Aber natürlich interessieren sich die Leute hier einiges mehr für die amerikanischen Wahlen als für die Grossratswahlen vor der Haustüre. Ich verstehe das. Die Bedeutung der USA übersteigt die Bedeutung des Aargaus oder gar von Aarau um Welten.

Die Wahl ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. So kann ich hoffen, dass Kamala Harris Präsidentin wird. Bundesrat Rösti hofft gemäss eigenen Aussagen eher auf eine Wahl von Donald Trump. Damit zeigt er hinter der gemütlichen Maske sein wahres Gesicht.

Aber natürlich gibts auch die lokalen Themen, die interessieren. Das soll auch so sein. So ist der vorgesehene Kraftwerkbau vor den Toren von Aarau umstritten. Dazu wurde vor kurzen ein Entscheid des Aargauer Verwaltungsgerichts gefällt, der es in sich hat. Ich habe das Urteil  in Gänze gelesen. Eine spannende Lektüre.

Das Verwaltungsgericht führt aus, dass der frühere Entscheid über das erste Projekt «2013» rechtskräftig sei, und eben nicht «nichtig», wie dies von den Beschwerdeführenden beantragt wurde. Dieses frühere Projekt kann also gebaut werden, obwohl es gemäss Verwaltungsgericht das ISOS-Schutzgebiet der bisherigen Kraftwerksanlage (wozu der Mitteldamm gehört) ziemlich missachtet. ISOS ist der Fachbegriff für das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung. Die Bewilligung für das Projekt sei nicht so fehlerhaft gewesen, wie es hätte sein müssen, damit man das rechtskräftige Urteil umstossen könne. So darf nun sowohl das neue Kraftwerksgebäude gebaut wie auch die Hälfte des Mitteldammes abgerissen werden, wie dies das Projekt «2013» beinhaltete.

Regierungsrat und Eniwa kaprizierten sich nun bei der Verteidigung des neu eingegebenen Projektes «Optimierung» auf den Standpunkt, es lägen quasi nur Optimierungen zum rechtskräftigen Projekt «2013» vor, womit das neue Projekt ebenfalls genehmigt werden könne und müsse. Die Änderungen würden das ISOS-Schutzgebiet – im Vergleich zum Projekt «2013» – nicht wesentlich weiter beeinträchtigen.

Das Aargauer Verwaltungsgericht widerspricht nun dieser Rechtsauffassung entschieden: Das Referenz- und Vergleichsobjekt zur Bewilligungsfähigkeit des Projektes «Optimierung» sei nicht das bewilligte Projekt «2013», sondern – dies der Clou! – der heutige Ist-Zustand der Kraftwerksanlage. So werde das ISOS-Schutzgebiet im Projekt «Optimierung» deutlich missachtet bzw. es müsse genaustens zuerst abgewogen werden, inwiefern der vorgesehene Stromgewinn die Zerstörung des ISOS-Schutzgebietes überhaupt rechtfertigen könne. Das heisst, es müssten zuerst intensiv Alternativen insbesondere zum Mitteldammabriss aufgezeigt werden, erst dann könnte allfällig das neue Projekt später – wenn überhaupt – bewilligt werden. Die ganze Sache wird vom Verwaltungsgericht deshalb mit diesem Auftrag an den Regierungsrat zur Neubeurteilung zurückgewiesen.

Damit steht die Eniwa vor einem interessanten Dilemma: Realisiert sie das frühere rechtskräftige Projekt, darf sie immerhin die Hälfte des Mitteldammes abreissen und das neue Kraftwerksgebäude erstellen. Beharrt sie hingegen auf dem neuen Projekt «Optimierung», kann es gut sein, dass bei diesem am Schluss vorgeschrieben wird, dass dabei der ganze Mitteldamm erhalten werden muss. Beim Projekt «Optimierung» geht es hauptsächlich darum, durch eine Strommehrproduktion zu sehr hohen Bundessubventionen zu gelangen. Das Projekt «2013» reicht nicht aus, um zu diesen hohen Geldbeiträgen zu gelangen. Was macht nun für die Eniwa Sinn?

Das Verwaltungsgericht hat meiner Ansicht nach ein komplex-interessantes (für die Eniwa ziemlich «perfides») Urteil gefällt. Es ist zu erinnern, dass die Eniwa zu 95 Prozent den Aarauer:innen gehört. Da die Eniwa einst aus der Stadtverwaltung ausgelagert wurde, ist heute der Stadtrat und nicht mehr der Einwohnerrat oder das Volk für die Eniwa zuständig. Es besteht ein klares Demokratiedefizit, das längst hätte angegangen werden müssen.

Die Eniwa kann heute machen, was sie will.

Das führt auch dazu, dass der Einwohnerrat den Stadtrat zwar vor sieben Jahren beauftragt hatte, für eine Aarebadi-Vorlage zu sorgen. Diese lässt jedoch noch immer auf sich warten, weil die Eniwa unter anderem dagegen ist, dass in der Nähe des Standortes «Alte Badianstalt» eine neue Aarebadi gebaut werden kann. Das dafür geeignete Land in der Zone für öffentliche Bauten gehört der Eniwa, also quasi uns, nur können wir nicht demokratisch darüber verfügen. Im Verwaltungsrat der Eniwa ist die Stadt Aarau als Mehrheitsaktionär durch Stadtpräsident Hanspeter Hilfiker und Vize-Stadtpräsident Werner Schib vertreten. Was unternehmen die beiden dort als unsere Vertreter für Aarebadi und Mitteldammerhaltung? Ich vermute: wenig bis nichts.

Da wir heute Halloween feiern, darf gefragt werden «Süsses oder Saures»? Diese Frage könnte sich auch die Eniwa stellen, oder unsere Vertreter im Verwaltungsrat der Eniwa. Dafür muss sich niemand verkleiden oder bemalen.

Wir sollten die Eniwa von uns aus demokratisieren. Es gibt das Instrument der Volksinitiative dafür.