Zeitreise

Emil Welti, Bundesrat und Aarauer Ehrenbürger

Er gehört zu den schillerndsten und prägendsten Politikern des 19. Jahrhunderts: Bundesrat Emil Welti aus Zurzach (1825-1899). In der Folge steht nicht seine Leistung als Politiker im Fokus, sondern sein Bezug zu Aarau, wo er zwei prägende Lebensabschnitte verbracht hat.

Von Raoul Richner

 

 

Emil Welti stammte aus einer alten, angesehenen Zurzacher Familie. Als 15-Jähriger verliess er seinen Heimatort, um in Aarau von 1840 bis 1845 die Kantonsschule zu besuchen. Wie die meisten Schüler hatte er Kost und Logis vor Ort, ans Pendeln war noch nicht zu denken. Die Kanti war damals die einzige Mittelschule im Aargau und entsprechen elitär. In der mit 120 Schülern noch sehr übersichtlich kleinen Schule schloss Welti lebenslange Freundschaften – etwa mit Jakob Müri, dem späteren Pfarrer von Schinznach, oder mit Christian Emil Rothpletz, dem späteren Oberrichter. Der junge Emil war einerseits ein herausragend guter Schüler, anderseits aber auch etwas übermütig, so dass er sich mehrere Verweise und Karzerstrafen einhandelte.

Nach bestandener Maturaprüfung studierte er in Deutschland Jura und kehrte anschliessend nach Zurzach zurück, wo er eine Anwaltspraxis eröffnete und bald Bezirksgerichtspräsident wurde.
1856 startete er durch: Nach seiner Wahl in den Grossen Rat wechselte er nach wenigen Sitzungen in die Exekutive: Er wurde mit 31 Jahren Regierungsrat, was ihn zur neuerlichen Übersiedlung nach Aarau zwang. Damals wohnten alle sieben Regierungsräte in der Stadt oder zumindest in Stadtnähe. Welti blieb stets Mieter, wobei seine Vermieter prominente Zeitgenossen waren: Beispielsweise wohnte er bei Staatsarchivar Schweizer am Rain, dann bei Stadtammann Weiersmüller an der Aarestrasse oder bei Oliver Zschokke in der Blumenhalde. Welti zog während seiner zehn Jahren als Regierungsrat mindestens fünfmal um, was wohl seiner wachsenden Familie geschuldet war.

In Aarau scheint er Stammgast im Gasthaus zum Storchen (heute: Schuhhaus zwischen Storchengasse und Laurenzentorgasse) gewesen zu sein. Dreimal über fünf Jahre hinweg wurde Welti gebüsst, weil er zu lange, das heisst über die Polizeistunde hinaus, in diesem Wirtshaus sitzen geblieben war. 1862 war Welti sogar Landammann, als er zu zwei Franken Bussgeld verknurrt wurde. Seine Mittrinker setzten sich übrigens in wechselnder Zusammenstellung u.a. aus einem Apotheker, einem Arzt, einem Industriellern einem Anwalt und einem Rektor zusammen. Bei allen drei polizeilich erfassten Fällen war stets auch Oberrichter Rothpletz (1824-1897) dabei, Weltis alter Kantikollege. Diese Episoden verdeutlichen zwei Dinge: Welti war offenbar ein geselliger und gut vernetzter Mensch – und die Aarauer Polizisten drückte bei Bagatelldelikten hochgestellter Persönlichkeiten kein Auge zu …

Welti konnte sein Beziehungsfeld nicht nur im Kanton Aargau ausbauen, sondern bereits ab 1857 auch beim Bund. Damals delegierte ihn nämlich der Grosse Rat in den Ständerat, dem er bis zu seiner Wahl in den Bundesrat (1866) angehören sollte.



Trotz Weltis doppelter Belastung als Regierungs- und Ständerat glaubte der Aarauer Stadtrat 1861, ihm zudem das Amt eines Schulpflegers anhängen zu können. Der vielbeschäftigte Politiker erklärte Nicht-Annahme der Wahl, doch ein Jahr später wirkte er doch in der Schulhausbaukommission mit.
Kurz nach Weltis Bundesratswahl im Dezember 1866 und dem damit verbundenen Umzug nach Bern beschloss der Stadtrat, den bisherigen Einwohner quasi zum Abschied noch zum Ehrenbürger zu ernennen. Welti zierte sich etwas; er wünschte, dass diese Ehre nicht bloss ihm allein zustatten komme. Doch andere Kandidaten drängten sich nicht auf. Am 6. Januar 1867, am Vormittag des Abschiedsfestes im Casino musste ganz rasch noch eine Ortsbürgergemeindeversammlung einberufen werden, die Welti formal das Ehrenbürgerrecht gewährte.

Emil Welti blieb während langen 24 Jahren in wechselnden Departementen Mitglied des Bundesrates. Er drückte namentlich dem Militär- und Verkehrswesen – Stichwort: Gotthardbahn – seinen Stempel auf. Sechs Mal amtete er als Bundespräsident, ein Rekord, den er nur mit einem Amtskollegen teilen muss. Zu seiner Zeit folgte die Wahl ins Präsidium übrigens nicht wie heute einem fixen Turnus, sondern hing vom persönlichen Einfluss der Magistraten ab. Welti gehörte ganz ohne Zweifel zu den einflussreichsten und mächtigsten Bundesräten, die es in der Schweiz je gab. Nach seinem Rücktritt 1891 blieb er weiterhin in Bern wohnhaft und kehrte nicht in den Aargau zurück.

Seiner äusserlichen Ähnlichkeit mit dem damaligen deutschen Reichskanzler wurde Welti bereits von den Zeitgenossen mit Bismarck verglichen. Die Meinungen über Weltis Charakter gingen – und gehen noch immer – auseinander: Die Bandbreite der Urteile reicht vom Label «brillanter Staatsmann» bis zu «böswilliger Tyrann». Während seine Tatkraft als Politiker weitgehend unbestritten ist, schlägt sich auf der familiären Ebene vor allem die tragische Affäre um seine Schwiegertochter Lydia Welti-Escher negativ zu Buche.

Weltis Biographie wurde jüngst aufgearbeitet und 2020 im lesenswerten Buch von Claudia Aufdermauer und Heinrich Staehelin «Bundesrat Emil Welti 1825-1899» im Verlag Hier und Jetzt publiziert. Hoffentlich kann es dazu beitragen, dass die Erinnerung an Welti auch an seinem wichtigen Wirkungs- und Wohnort aufgefrischt wird. In Aarau ging er dank der nach ihm benannten Weltistrasse im Gönhardquartier und der Büste hinter dem Grossratsgebäude immerhin nie ganz vergessen.

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